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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Schulze, Otto: Die Keramik im Dienste der Innen-Dekoration, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0182

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Seite s36.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

September-Heft.

gefunden haben. In Nord-Deutschland kann man sich eine Mieths-
wohnung ohne Gefen und die Rüche ohne Herd nicht vorstellen,
anders am Rhein und in Süd-Deutschland, wo man sich diese
theueren Inventarstücke meist selbst beschaffen muß, sie bei einen:
Umzug abreißt und wieder aufbaut. Ein recht ansprechendes
Modell mittlerer Größe sehen wir in der Abbildung Nr. s008,
entworfen in der Großherzog-
lichen Aunstgewerbeschule
zu Karlsruhe. Die mäßigen,
vorzüglich proportionirten Ab-
messungen lassen diesen Ofen
für kleinere Wohnzimmer be-
sonders verwendbar erscheinen.

Der Dekor ist dem Majolika-
Rarakter glücklich angepaßt. Die
alte schweizer Industrie finden
wir in dem großen Fayence-
Ofen in Abbildung Nr. WsS
vertreten, das Original befindet
sich im Rathhause zu Stans in
der Schweiz, die Aufnahme des-
selben besorgte Ulr. Guter-
sohn. Obgleich der Ofen schon
dem s8. Jahrhundert angehört,
hat sein Verfertiger doch ein
gutes Verhältniß in den Lisenen-
wie auch in den Gesimstheilungen
gewahrt, wodurch die Felder
mit ihren mannigfachen Dar-
stellungen — die großen Felder
zeigen die Tellsage, die übrigen
Landschaften — zu vollster Gel-
tung kommen. Die Malereien
der meisten schweizer Racheln sind
unter Glasur, viele, noch zumal
aus späterer Zeit über Glasur.

Eine gute Sache fordert
einen guten Beschluß, und so
konnte ich es mir nicht versagen,
die beiden so einheitlich durch-
geführten herrlichen Laden-
Einrichtungen der Abbil-
dungen Nr. s006 und s007 bis
hier aufzusparen. Rommt doch
hier ausschließlich die Aeramik
zu ausgedehntester Entfaltung
und Hergabe ihrer wunderbar
effektvollen Schmuckmittel. Rann
cs wohl für die hier in Frage
kommenden Laden-Einrichtungen
für Fleischer (Metzger), Geflügel-
und Wildprethandlungen, für
Milch-, Butter- u.Räse-Geschäfte
etwas besseres und praktischeres
geben? kann den Genußmitteln,
die die gewissenhafteste und sorg-
fältigste Behandlung in Bezug
auf Reinlichkeit und Ronservi-
rung fordern, wohl ein besserer Absatzplatz für Produzenten als
auch für Aonsumenten geschaffen werden?! Nein! Es ist hier
das Denkbarste auf diesem Einrichtungsgebiet geschehen! Alles
besteht aus Rachel- und Fliesenbekleidung. In dem Fleischer-
laden ist der Fußboden mit Mettlacher Platten abgedeckt, Wände,
Decke, Thür- und Spiegelrahmen, der Ladentisch und die Säule
sind mit bemalten und bedruckten (unter Glasur) Steingutfliesen

und -Füllungen bekleidet, ebenso ist der Wandbrunnen aus Steingut
in gleicher Ausführung hergestellt. Die noch bedeutend reichere
Ausstattung des Milch-Ladens ist im Prinzip in gleicher Weise
durchgeführt; die Gesammtwirkung verräth das Material durch
die frische und freundliche Farbenfluthung. Villeroy L Boch'sche
Fabrikate bedürfen kaum noch der Empfehlung — derartige

Leistungen sprechen für sich selbst,
das sind Lösungen, die die Stein-
gut- und Fayencefabrikation auf
höchster Höhe zeigen. Stillstand
kennt ein derartiges Weltwerk
nicht; bisher kannte die kera-
mische Industrie kein so feines
und in Masse, Härte und Glasur
so beständiges, porzellanähnliches
Produkt, wie wir es in diesen
Erzeugnissen begegnen. Die
Farbenpalette ist unbeschränkt.

Auch der Speisesaal des neuen
Hauptbahnhofes zu Röln ver-
dankt seine großen Fliesenbilder
mit den äußerst gelungenen in
Blau unter Glasur gemalten
Rheinbildern: Taub, Loreley,
Andernach, Stolzenfels, Eoblen;
und Siebengebirge der obenge-
nannten Firma, und zwar der
Mettlacher Fabrik. Sehr geschickt
ist hier Holztäfelwerk verwendet,
in welches die Fliesen eingelassen
sind. Die Farbenstimmung des
Raumes: Eichenholz, die blaue
Fliesenmalerei auf weißen:
Grund, die übrige Wand- unb
Decken - Dekoration — großes
Oberlicht mit damaszirten Schei-
ben — in grauen, gelben, blauen
und grünen Tönen mit leichter
Vergoldung gehalten, ist bei aller
Neutralität lebendig genug, der
ausgesprochenen Bestimmung des
Raumes verständnißvoll ange-
paßt. — Wir können kaum
schlagendere Beweise und Bei-
spiele anführen für die gesunden
und fortschrittlichen Bestrebungen
in der Anlage und Herrichtung
unserer Räume und die Wahl
ihrer Dekorationsmittel. Wir
haben in vorliegendem Hefte
Räume gesehen, die der Familie
gehören, und solche, die dem ge-
schäftlichen und dem großen
öffentlichen Verkehr dienen,
nichts hiervon erinnert uns an
eine voraufgegangene Zeit, oder
wie wir uns lieber ausdrücken,
im Rern an einen früheren Stil.
Alles ist aus den Zeitbedürfnissen, aus neuen Ansprüchen und
Ansichten eines verfeinerten Lebensgenusses, aus großen wirth-
schaftlichen und sozialen Neugestaltungen erwachsen; wir selbst
konnten unser neuzeitliches Ich nicht verleugnen, um Fortschritte
und Errungenschaften zu ignoriren, aus welchen unser körperliches
und seelisches Wohl nothgedrungen die Säfte ziehen muß, um.
den Begriff „Leben" aufrecht zu erhalten. — cschiuß auf s-i,e
 
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