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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Volbehr, Theodor: Tapeten und Teppiche
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0183

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September-Heft.

Seite s37.

zapeten und Meppiche.

Oon Ol'. Th. Oolbehr.

>5 ist seltsam: vor wenig Jahrzehnten suchte man sich
im Tapetenladen unter der Hülle der Muster diejenigen
aus, die einem im Augenblick just am besten gefielen,
kaufte beim Teppichhändler einen Teppich, dessen Muster einem
sympathisch war, und rieb sich behaglich die Hände, weil man
mit diesen nothwendigen Einrichtungsdingen so schnell fertig ge-
worden; heute macht man es weniger „leichtsinnig", man zerbricht
sich daheim den Kops, welche Farbe, welches Muster am besten
geeignet sei für dieses oder jenes Zimmer, rekapitulirt sich alle
im letzten Jahrzehnt gelesenen ästhetischen Vorschriften, sucht und
vergleicht, läßt sich die Stoffe ins Haus bringen und prüft mit
dem Auge des Farben-
künstlers, welche Kombina-
tionen die wirkungsvollsten
sein, welche Teppiche und
Tapeten die wohlthuendste
Einheit bilden würden. Man
„komponirt" die Wand- und
Fußbodenbekleidung in je-
dem einzelnen Zimmer. Die
Zeiten haben sich eben ge-
ändert. Man ist in künst-
lerischen Dingen feinfühliger
geworden. Gar zu feines
Empfinden verwandelt sich
aber oft in Empfindelei, und
empfindsame Zeiten haben
stets zu einem baldigen Rück-
schlag geführt, zu einer Sehn-
sucht nach kräftiger Schlicht-
heit. So wird auch bald
eine Zeit kommen, die mit
einem großen Theil ästhe-
tischer Vorschriften für die
Wahl der Tapeten und der Teppiche brechen wird, die etwas
mehr Frische und Eigenart in diesen Theil der Zimmer-Dekora-
tionen hineinbringen wird. Man kann dem erfindenden Künstler
und den: kaufenden Publikum nicht genug Freiheitsgefühl ein-
impfen. Die hundertmal wiederholten Regeln wie eine Flächen-
Dekoration beschaffen sein müsse, um wirklich nur Flächen-Dekora-
tion zu sein und also den Anforderungen, die man an Teppich
und Tapete stellen müsse, zu entsprechen, die lähmen schließlich
den Erfindungsgeist des Künstlers und binden dem Geschmack
des Publikums Scheuklappen vor. Man versuche es einmal, von
allen vorgefaßten Meinungen abzugehen und von Teppich und
Tapete nichts weiter zu verlangen, als daß sie das Zimmer be-
haglich, seinen Zwecken entsprechend machen: man wird sehen,
daß es auch so geht, und zwar besser und leichter geht, als wenn
man die drakonische Gesetzgebung einer ausgeklügelten Aesthetik
Produzenten und Konsumenten vorhält. Zn dieser einen unschein-
baren, in ihrer Berechtigung so selbstverständlichen Forderung

Abbildung Nr. zooy. Nrirlzrs Badezimmer; mit holz°verkleideter Wanne rc.

Aus der Fabrik: Aktien - Gesellschaft Schaffer ^ Lvalcker, Berlin.

liegt Alles, was zur Anregung künstlerischer Fantasie dienen kann
und gleichzeitig Alles, was der Willkür berechtigte Zügel anzu-
legen vermag.

Ein Zimmer, einen Raum behaglich machen, wie erreiche
ich das? Die Antwort kann erst erfolgen, wenn ich die Bestim-
mung des Raumes kenne, wenn ich weiß, welchen besonderen
Zwecken er zu dienen hat. Das Arbeitszimmer eines Gelehrten
und das Boudoir einer Dame sollen beide den Bewohner mit
Behagen erfüllen, aber die Mittel, dieses Behagen durch die Aus-
stattung zu erzielen, müssen selbstverständlich ganz verschieden sein,
just so verschieden wie die Anforderungen der Dame und des
Gelehrten an Behagen sind. Ebenso muß das Eßzimmer und
muß das Schlafzimmer behaglich sein, aber die Zwecke der Zimmer
bedingen völlig andere Mittel, um diese Stimmung auf den Be-
wohner zu erreichen. Es
ist also der Zweck eines
Raumes, der unsichtbar
über den: Arrangement, vor
Allem auch über der Wand-
und Fußboden - Dekoration
schweben muß, den man in
Form und Farbe der Tapete,
in Stoff und Art des Tep-
pichs fühlen muß, soll an-
ders ein Zimmer wirklich
jenes undefinirbare Behagen
ausströmen, das die vier
Wände zum Heim macht.

Da ist es nun die Sache
jedes Einzelnen, sich klar
zu machen, was ihm dieser
oder jener Raum sein soll
und sich ferner klar zu
machen, was bei dieser oder
jenerBenutzung des Raumes
gegen oder für diese oder
jene Wandbekleidung spricht.
Die Ausgabe scheint nicht sonderlich schwierig und ist es in
Wirklichkeit auch gar nicht, und doch getrauen sich die wenigsten
Menschen, unabhängig von den Rathschlägen des Dekoratörs
oder Tapeziers darüber zu urtheilen. Das ist ein befremdlicher
Mangel an Selbstbewußtsein im modernen Geschlecht, um so
befremdlicher, da er sich auch auf anderen ästhetischen Gebieten
sehr selten bemerkbar macht. Nach dem Grunde dieser Erschei-
nung mag man suchen, wenn sie historisch geworden ist, jetzt, da
sie noch der Gegenwart angehört, dürfte es angebrachter sein,
daß jeder an seinem Theile Hilst, dieses leidige „Davon verstehe
ich nichts" in den Dingen des alltäglichsten Lebens aus der Welt
zu schaffen. Bescheidenheit ist etwas sehr Schönes, nur sollte
man sich nicht des eigenen Urtheils bescheiden, wo das eigene
Behagen, die Freude am eigenen Heim in Frage steht. And im
Grunde genommen, ist ein latentes, schlummerndes Verstehen
dieser Dinge überall vorhanden. Es braucht nur geweckt zu
werden und bedarf vielleicht hin und wieder einiger Anstöße, um
 
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