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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Schliepmann, Hans: Ein amerikanischer Palastwagen-Zug
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0143

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Juli-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Leite f05.


Min amerikanische^ Malastlvagen-Mug.

von Hans Schliepmann.

>as hat ein „Harmonikazug" mit einer Zeitschrift für Innen-
Dekoration zu thun? Für uns Deutsche ist eine Gedanken-
verbindung zwischen einem Eisenbahnabtheil und der Schönheit
noch nicht gefunden. Hier beschränkt sich die Innen-Dekoration
günstigsten Falles auf rothe Plüschübcrzüge (ein romantischer Nachklang aus
der guten Stube vor so Jahren), dazu kommen einige Netze, die Nothbremse,
einige gegen Fliegenschmutz mit Lack überzogene Ankündigungen mit elegant
geklebtem dunklen
Papierrand,einige
staubgraue und
staubduftendevor-
hänge, zwei un-
glaublich geist-
reiche Aschbecher
an den Thüren

und-ja, nun

müßte man schon
etwa an einen
burgundersarbe-
nenWeinreisenden
oder eine stark
vergoldete Börsia-
nerin denken, um
noch weitere Reize
derInnen-Dekora-
tion aufzuzählen.

Aber ich will
nicht von deutschen
Personen - Magen
sprechen, die mir
wieeinGefängniß
erschienen, als ich
sie zum ersten
Male wieder nach
meiner Chicago-
reise in Cuxhafen
bestieg, trotzdem
es die für einen
gelcgentlichschrift-
stellernden Bau-
meister durchaus
unziemliche erste
Klasse war. Ich
denke au die

„amerikanischen Palastwagen". S i e bieten allerdings des Bemcrkenswerthen
in Bezug auf Innen-Dekoratiou so viel, daß es nicht unangebracht erscheint,
von ihnen an dieser Stelle zu sprechen. Wenn auch durchaus zuzugeben ist,
daß bei den geringeren Entfernungen in Europa eine ähnlich weitgehende
Sorge für die Bequemlichkeit der Reisenden nicht erforderlich ist, so bleibt
doch gar vielerlei übrig, das auch für uns beherzigenswerth bleibt, und gar
Manches von der künstlerischen Ausstattung wird gar für unsere Innen-
Dekoration mit geringen Abwandelungen brauchbar sein, seien es Einzelheiten,
seien es Motive für Deckenbildungen oder Lrkeranlagen.

An der Hand mehrerer Abbildungen, welche dieser Zeitschrift durch
Vermittlung meines Bruders ausnahmsweise durch die BuIIrann Our 60.
bei Chicago zur Verfügung gestellt wurden (insonderheit bleiben wir dafür
dem Vorsteher des Zeichenateliers der weltbekannten Fabrik, Herrn Rapp,
verpflichtet), möchte ich daher versuchen, unseren Lesern den allerdings ganz
besonders kostbar und vollendet ausgestatteten Vsstibuls-pmluos-trsän (etwa
„Harmonikazug erster Klasse") zu beschreiben, welchen die genannten Werke
auf der Weltausstellung in Chicago ausgestellt hatten. Wenn ich dabei

Abbildung Nr. ZS7. Tagrs-Wngril aus dem PuIIman'l'chcn PalaMmgcu-Zug. Siehe erläut. Text.

gelegentlich ein wenig über den Rahmen einer „Zeitschrift für Inuen-
Dekoration" hinauskomme, um einige Andeutungen über das Reisen in
Amerika einzuschalten, so hoffe ich auf die gütige Nachsicht der Leser, denen
in der Mehrzahl doch mancherlei Neues und immerhin Interessantes dabei
begegnen dürfte. Dem großen Fernverkehr für die wohlhabenderen Klassen
dienen die „liruitsck truins", etwa Schnellzüge erster Wagenklasse. Bekanntlich
haben die amerikanischen Züge, dem Freiheitsprinzix entsprechend, nur eine

Wagenklasse; da
aber Geld mäch-
tiger als das Frei-
heitsprinzip ist, so
schmuggelt sich,
wie überall drü-
ben, so auch hier,
der Unterschied
zwischen Reich und
Arm dadurch ein,
daß verschieden
theure Züge ver-
kehren. Die bil-
ligeren, die etwa
unseren gemischten
Zügen entspre-
chen, bestehen aus
sogenannt, „cku^-
oonoliss" (etwa
Tageswagen),von
denen unsere Ab-
bildung Nr. ZS?
eine Anschauung
gibt. Wie bei allen
amerikanischen
wagen, ist durch
Anlage eines
Längsganges und
zweier Plattfor-
men an den
wagenenden ein
Durchschreiten des
ganzen Zuges er-
möglicht. Bei den
Tageswagen und
den „ offenen "
Schlafwagen(stehe

weiter unten) ist ein Mittelgang ungeordnet, so daß jederseits ziemlich ge-
räumige zweisitzige Bänke bleiben, deren Lehnen bei den Tageswagen sich,
an Hebelsarmen befestigt, um Ständer in den Axen des Sitzes wie bei
neueren Sommer-Pferdeeisenbahnwagen nach vorn oder hinten Umschlägen
lassen, so daß man nach vorwärts oder rückwärts sitzen kann. Wie aus der
Abbildung ersichtlich, sind die Sitze gepolstert, bieten also immerhin erheblich
größere Bequemlichkeit als unsere wagen dritter Klasse; indeß hat mich eine
sechsstündige Nachtfahrt von Milwaukee nach Chicago am eigenen Fleisch
— vielmehr schon den eigenen Knochen — fühlen lassen, daß die Unmög-
lichkeit, sich auf den kurzen Bänken jemals voll auszustrecken, bedingt durch
den Mittelgang, gar große Schattenseiten hat, so daß ich, wenn nicht unserem
Abtheilsystem, so doch den wagen mit Seitengang immer den Vorzug geben
würde. Auch die übrige Ausstattung der Tageswagen übertrifft weit unsere
Wagen dritter, ja zweiter Klasse, wenngleich der dargestellte Ausstellungs-
wagen natürlich wesentlich über das Maß des lieblichen hinansgeht. Gepreßte
wunderbar altgoldfarben schimmernde Plüschbezüge wie hier, habe ich sonst
nicht gefunden, auch nicht so ungemein graziöse Gitterchen für Gepäckstücke;
 
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