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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Ein Bild aus der nordböhmischen Teppich-Industrie
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Hochegger, R.: Die künstlerische Erziehung der deutschen Jugend, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0104

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Seite 7H.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Mai-Heft.

bis zu der außergewöhnlichen Breite von s2,5 rri gegenüber. Das
ganze Etablissement besteht heute aus zwei Streichgarnspinnereien,
einer Kunstwollfabrik, der Teppich- und Deckenfabrik mit Woll-
wäscherei, Färberei, Zwirnerei und beschäftigt über s200 Arbeiter.
Die Spinnerei umfaßt zwölf Assortiments Krempeln nebst den
dazugehörigen Spinnmaschinen. Der mächtige Umfang des Be-
triebes läßt sich vielleicht am
besten ermessen, wenn man
erfährt, daß der maschinelle
Betrieb des Etablissements
von drei, durch sieben Kessel
gespeisten Dampfmotoren und
außerdem drei Turbinen von
zusammen über 800 Pferde-
kräften geleistet wird.

Die Erzeugnisse der Firma
beginnen bei den einfachen,
schlichten Läufern und Tep-
pichen, welche in bescheidener
Zurückhaltung die Wohnung
der mittleren Stände schmücken
und ihnen den Eindruck be-
haglicher Wohnlichkeit ver-
leihen. Es sind einfache,
schlichte Boden- und Treppen-
läufer, theils mit Streifen,
theils mit geometrischer und
theils mit blumistischer Muste-
rung in gedämpften, grauen,
grünlichen mit dunkelfarbigen
Streifen versetzten Tönen, oder mit reicherer Farbenentwicklung,
wenn das Muster der Pflanzenwelt entlehnt ist. Sie sind in Zute
oder Wolle gewebt. Zu ihnen gesellen sich die Tapestry und
Velvets, die Sofas und Rugs, die Brüssels und Axminster und
endlich die Knüpfteppiche. Ein besonderes Erzeugniß der Fabrik
sind die im Handel unter dem Namen „Austrian Blanckets" be-
kannten bunten Wolldecken, die einen bedeutenden Export, besonders
nach Amerika, bilden. Das, was der Fabrik den Weltruf ver-

schafft hat, sind aber ihre geknüpften Teppiche. Ein umfang-
reiches Zeichenatelier schafft für sie die glänzenden Muster in allen
Stilen, namentlich aber im persisch-orientalischen und im Stil des
s8. Zahrhunderts, sofern die Fabrik nicht vorzieht, die köstlichen
alten Erzeugnisse unmittelbar zum Vorbild zu nehmen. Zn dieser
Beziehung hat die im Zahre s89s vom Handelsmuseum in Wien

veranstaltete Teppich-Ausstel-
lung, welche in einer nie er-
reichten Vollständigkeit ein
übersichtliches Bild über die
gesammte Kunst des orienta-
lischen Teppichs gab, außer-
ordentlich belebend gewirkt.
Eine besondere Art von Tep-
pichen, die unter dem Namen
„VersLQ Anciev" in den
Handel gebracht ist, besteht aus
feinster Angora-Wolle und
nimmt die guten alten per-
sischen Teppiche zum Vorbild.
Diese Erzeugnisse sind Kunst-
werke im Glanz und Lüstre der
Farbe, im Material und in der
Zeichnung. Zn ihnen steht das
Haus Ginzkey unerreicht da.
Was der Grient an rauschen-
den Farbensymphonien bietet,
gibt die Fabrik in glücklichster
Wirkung dem farbentrunkenen
Auge. Einmal ist es der
Gebet-Teppich in seiner unerschöpflichen Formen- und Farbengebung,
mit der der Grient in so reichem Maße ihn überschüttete, der
als ein nie versiegendes Vorbild, als eine unerschöpfliche (Iuelle
von Schönheit den neuen Erzeugnissen als Vorbild dient. Der
berühmte Zagdteppich aus dem Besitze des Allerhöchsten Kaiser-
hauses in Wien, die wunderbaren Teppiche des Fürsten Lichtenstein,
die Schätze des South-Kensington-Museums in London, des Handels-
Museums und des Gesterreichischen Museums in Wien, des

Abbildung Nr. Y27. Vorplatz - Haiti;. Lntw. v. A. BeinbL in Mainz.

"Mw Künstlerisch^ Erstehung

^ der deutschen Mugendst.

von Professor Or. R. Hochegger. (Fortsetzung von Seitesr).

die moderne Zmitations-Kunstindustrie, welche nicht
s die Zdeen, sondern auch das Kunstmaterial fälscht,
der Geschmack selbst in den Kreisen, welche noch
Bedürfniß zur Bethätigung des Kunstsinnes in sich fühlen, verroht.
Dazu tritt auch noch der Umstand, daß heutzutage, da überhaupt
die häusliche Handarbeit wegen der Billigkeit der Fabrikswaare
ganz in Abnahme, ja fast in Verruf, gekommen ist, auch auf
dem Gebiete der Künste die Lelbstbeschäftigung, der Dilettantismus,
aufgehört hat. Wer sollte etwa noch selber Spitzen klöppeln
wollen, da er um wenige Pfennige die reichsten Muster zu kaufen
erhält? Mer wollte mehr selbst schnitzen, malen, nach der Natur
zeichnen, häusliche Kunstarbeiten verfertigen? Die Fotografie hat
die portraitmalerei und das Zeichnen verdrängt, die Farbendrucke,
die Landschaftsmalerei, überhaupt die Gelmalerei; die Fabriken
liefern für die ästhetische Ausgestaltung des hausrathes dutzend-
weise die Bestandtheile. Ein kleiner Kreis ist es noch, der die
Handarbeit und das individuale künstlerische Schaffen würdigt
und etwa ein schlichtes, stimmungsvolles Aquarell oder eine launig
hingeworfene Pastell-Skizze jedem noch so effektvollen und täuschend
einem Original nachgeahmten Farbendruck vorzieht. Erst seit
wenigen Zähren vollzieht sich ein Umschwung und die „Kunst-

arbeit im Hause" blüht wieder auf. Der Dilettantismus ist keines-
wegs zu unterschätzen. Er bildet die Brücke zwischen dem Künstler
und dem Publikum. Er trägt die Begeisterung des ersteren in
sich und verbreitet sie in der breiten Masse der Gesellschaft. Da
er selbst auch künstlerisch thätig ist, weiß er ein Kunstwerk in
seiner Entstehung und seiner Bedeutung zu würdigen. Wir spotten
und klagen darüber, daß bei uns Alles musizirt, insbesondere
Klavier spielt und singt. Wie oft hat man schon gegen diesen
„Bildungsunfug", gegen dies „müßige Dilettantenthum" in scharfen
Worten gekämpft. Dieser Spott und diese Klagen sind aber sehr
kurzsichtig, denn gerade der Umstand, daß die Musik bei uns fast
von Zedem betrieben wird, hat dieselbe volksthümlich gemacht,
bei Allen Znteresse und Verständniß geweckt, so daß die großen
Komponisten vom Volke getragen wurden. Ohne jenen Dilet-
tantismus in der Musik wären wir Deutschen nicht auf jene höhe
der musikalischen Kunst emporgestiegen. Wenn die anderen Kunst-
gattungen bei uns gleich volksthümlich wären, würde Deutschland
sicher auch auf diesen Gebieten nicht nachstehen. Was uns also
noth thut, ist eine allgemeine Kunsterziehung. Nur dann
wird die Kunst bei uns heimisch werden und gedeihen, wenn wir
ein kunstverständiges Volk heranziehen.

Die Frage der künstlerischen Erziehung ist wohl oft gestreift
worden, nie aber hat man recht mit Ernst die häusliche und
öffentliche Erziehung in diesem Sinne umgestaltet. Die künst-
lerische Erziehung müßte jedenfalls bereits in der Kinderstube
ihren Ausgang nehmen. Das geistige Leben des Kindes trägt
 
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