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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Schulze, Otto: Vernachlässigung der Drechslerarbeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0083

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^Mernachläffigung der ^Mrechslerardeit.

von Otto Schulze, Aöln a. Rh.

HWW^unst - Drechseleien und Künsteleien der Drehbank sollen
meine Ausführungen nicht streifen, das sind Lieb-
habereien, aus denen sich kein Heim, ja, nicht einmal
ein handfester Stuhl zaubern läßt. Ich schließe also die Horn-
und Beindrechsler aus, mögen ihre Erzeugnisse noch so bewunderns-
wert!) und für Kenner begehrlich sein. Jener Dreharbeit möchte
ich hier das Wort reden, die dem
Schreiner, Tischler und Stuhl-
macher, sowie dem Holzschnitzer
bei vernünftiger Verwendung ganz
neue, schönheitsvolle, praktische
Motive bei billiger Herstellung
bieten würde.

So uralt die Töpferscheibe
und auch die Drehbank ist, wirklich
populär und mit ihren Erzeug-
nissen selbst die breitesten Schichten
beglückend, ist nur die Töpfer-
scheibe geworden, die Drehbank
hat ihre Mission nicht im Ent-
ferntesten auch nur ähnlich erfüllt!

Und doch hätte ihr ein so großes
und dankbares Gebiet nutzbar ge-
macht werden können, auf dem
die reichste Ausgestaltung der ge-
drehten Arbeit ohne auf Spiele-
reien zu verfallen, sehr wohl denk-
bar gewesen wäre, ich meine das
des Möbels und des Hausrathes!

Kein Handwerk hat eine so schnelle
Entwickelung, kurze Blüthezeit und
noch schnelleren Verfall in der
Geschichte verzeichnet als die
Drechslerkunst. Im hä. Jahr-
hundert derb handwerksmäßig,
entstehen schon im s 6. Jahrhundert
die wunderbarsten gedrehten Arbeiten, theils für direkte Verwen-
dung, theils als Modelle für die Metallgießerei — es sei hier
der herrlichen italienischen, spanischen und flandrischen Möbel,
Ehorgestühle, Ehorschranken, Kandelaber und des vielen kleinen
Geräthes an Dosen, Bechern, Tintesässern und ähnlichen Dingen
Erwähnung gethan — im s7. Jahrhundert hat der Drechsler
den höheren Flug als Mechanikus und Mathematikus genommen
und seine brodreiche Kunst elend verkümmern lassen. Deutschland
hat, mit Ausnahme der beiden Streifen Gber- und Niederdeutsch-
land, kaum bemerkenswerthe Pflegstätten der edlen Drechslerkunst
gehabt. Aus dem Bedarf an Spinnrädern, Haspeln und sonstigem
Kleinkram, den ich oben schon nannte, konnte sich ein Drechselstil
in der Ausgestaltung des Möbels nicht entwickeln. Wohl haben
Nürnberger und Augsburger Meister der Drehbank sich höchster

Gunst von Kaisern und Königen erfreuen dürfen ihrer Kunst-
stückchen wegen, die sie in unglaublichster Vielseitigkeit mit ver-
blüffender Geschicklichkeit zu Stande brachten.

In allen Museen und Kunstkammern finden wir diese
„Schnurrpfeifereien" deutscher Drechselarbeit dutzendweise, selten
ein größeres Geräth oder gar Möbel, das in erster Hinsicht der
Drehbank seine Entstehung dankt — ohne „Künsteleien" und
„Spielereien" als Anhängsel zu haben. — Seit der Zeit, daß
deutsche Schreiner und Tischler anfingen, gelehrte Bücher über

Architektur, Säulenordnungen und
Proportionen zu schreiben, Drechs-
ler wissenschaftliche Geräthe und
Instrumente für Mathematiker,
Astronomen, Aerzte und Gaukler
austüftelten, ist in diesen Handwer-
ken, oder meinetwegen auch Kunst-
handwerken, eine Verlotterung ein-
getreten, die durch den 30 jährigen
und andere Kriege in völligste Ver-
armung jeglichen Könnens gerieth.

Um nicht falsch verstanden
zu werden, betone ich ausdrücklich,
daß ich so wenig die moderne
Galanteriewaare der Drechsler-
kunst als die zweifelhaften, aufge-
leimten, zerschnittenen Rundver-
zierungen, unglaublichen Säulen,
Knöpfe und Spitzen und andere
undefinirbare gedrehte Zierrathen
des „billigen Berliner Möbelstils"
im Sinne habe, sondern lediglich
jener sinngemäßen Rundarbeit an
Stützen, Streben, Verbindungen
mit den nothwendig dazugehörigen
Ziertheilen erneute Aufmerksam-
keit und ernste Förderung zuwen-
den möchte, die durch naturgemäße
konstruktive Zusammensügung ein
wirklich brauchbares und schönes
Mobiliarstück bedingen. — Gerade unser Mobiliarstil auf Grund-
lage der Säulenordnungen hat die Vergewaltigung des Holzes
herbeigesührt und die Möbelarbeit so tief in den Leim gebracht.
Haben wir bis heute, allen Konkurrenzen für billige bürgerliche
Zimmereinrichtungen zun: Hohn, auch nur irgend welches brauch-
bare Mobiliar gezeitigt, das dem einfachen Manne Freude be-
reiten könnte, das auch nur einen Hauch besitzt von dem, was die
Schönheit in der Wohnung ausmachen soll?! Nein! denn wir
haben dem Holze dis billigen und guten Seiten nicht abgewinnen
können, wir hatten nicht den Muth, ohne feinprofilirte Kehlstöße,
Gesimse, Leisten, Verkröpfungen und sonstigen architektonisch-
dekorativen „Schnickschnack" zu arbeiten. Der 2000-Mark-Beamte
hat daher so gut seine Nußbaum-Einrichtung wie sein aus
sOOOO Mark gestellter Vorgesetzter — fragt mich nur nicht wie.
 
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