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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Tafel-Silber, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0233

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November-Heft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Seite f77.

von Albert Hofmann. (Schluß von Seile

daneben ist für uns das Geständniß wichtig, daß die fran-
zösischen Edelschmiede ihre eigenen Wege gehen. Sie führen,
soweit sie nicht an die historische Richtung anschließen, auf die
bedingungslose Herübernahme der formen der natürlichen Ge-
bilde, wie sie vor Allem die Pflanzenwelt bietet, hin. Hier sind zwei
Richtungen zu unterscheiden: entweder man entlehnt der Natur die Form
für das ganze Gefäß als solches, oder aber mau entlehnt ihr die Formen
für den Schmuck. Beide Richtungen gehen wohl verträglich neben einander,
treten aber nie zusammen auf. Lhristofle, Falize und andere Firmen sind
die Bahnbrecher für diesen Geschmack, der sich allgemeiner Sympathie erfreut
und von dem man sagen kann, daß er in der That am natürlichsten der
Kunst des Silbers entspricht. Jur Gefäßbildung, und zwar für Gefäße mit
Deckel werden die Formen des Kürbis (t'orrus äs oourAS Dabissau), der
Birne, des Pfirsichs, der Artischocke z. B. für Kaffeekannen, des Kaktus für die
Zuckerdose, der Selleriewnrzel, der Rübe und anderer Wurzelarten gesucht, deren
keimende Blätter dann in sehr geschickter Weise zur Halsbildung des Gefäßes
verwendet werden; dann werden die Formen der Blattpflanzen überhaupt solche
botanische Formen, welche einen Raum geschlosseu umhüllen, gewählt, während
die mehr offenen Formen, die sich in ihrer Gestaltung zur Aufnahme von
Gegenständen der Mahlzeit eignen, z.B. die Seerosen, Anemonen, dieNymphäen-
arten für offene Zuckerdosen, Butterschalen, Konfektschalen Verwendung finden.

Für den Schmuck der Gefäßform wird die ganze Blumen- und Pflanzen-
welt, soweit sie sich im Maßstabe dem Gefäße unterorduen läßt, daneben
aber auch das Reich der Amphibien, Insekten, der Vögel und schließlich auch
die menschliche Figur, theils als Basrelief, nicht selten aber auch als Haut-
relief und sogar su rouäs bosss verwendet. Maiblumen, Anemonen,
Lhrysanthemum, Käfer, Schmetterlinge, Eidechsen, die sich durch ein geschickt
modellirtes Laub winden, sind besonders bevorzugte Schmuckmotive. Dabei
ist die künstlerische Behandlung in den meisten Fällen eine vollendete. In
der Treibarbeit, in der Liselure kommen die hervorragenden künstlerischen
Eigenschaften des Metalles vortrefflich ^nr Geltung. Die künstlerische Be-
Handlung zeigt oft eine erstaunliche Aaturtreue, Weichheit nnd Geschmeidigkeit
der Formen, ein liebevolles vertiefen in ihre Feinheiten, ihre Zufälligkeiten,
ihre Bewegtheit, ihre bescheidene Unterordnung und ihre reiche Frische, für
die ich nur in der Behandlung des Metalles durch die Japaner ein Gegenstück
finde. Gft scheint sich das ganze Fühlen und Empfinden des Liseleurs auf
die von ihm bearbeitete Blume oder Frucht vereinigt zu haben.

wir besitzen eine feinsinnige Erzählung, deren treibendes Motiv viel-
leicht das einfachste, bescheidenste nnd leidenschaftsloseste ist, das je einer
Erzählung zu Grunde gelegen hat. Ls ist die Erzählung Picciola von
Saintine. In derselben wird ein Gefangener geschildert, dessen einzige Er-
holung im Gefängniß darin besteht, daß er bei seinen täglichen Spazier-
gängen im Gefängnißhofe ein Samenkorn beobachtet, das in die mit Erde
gefüllte Fuge der Pflasterung gefallen war. Er sieht das Samenkorn keimen
und grüne Blättchen ansetzen, er sieht es sich weiter entwickeln. Und als
es die Höhe erreicht hat, daß es über die umgebenden Steine hervorragt,
sucht er es während der Dauer des Spaziergangs persönlich vor dem Zer-
treten zu beschützen, indem er es bewacht. Und vor dem verlassen des Ge-
fängnißhofs baut er eine schützende Hülle darum, daß es nicht umkomme.
So sieht er es sich nach und nach weiter entwickeln. Die liebevollste Theil-
nahme verknüpft ihn mit dem Schicksal seines Pflänzchens. Und als es
eines schönen Tags Knospen ansetzt, ist er freudig bewegt, und das Leiden
des Gefängnisses wird durch das reinste Glückseligkeitsgesühl betäubt, als
er bei dem wiederkehrenden Spaziergange die Knospe zu einem Blümchen
entfaltet findet. Mit dieser unendlichen Hingabe nnd Liebe zu dem bescheidenen
Pflänzchen möchte ich die Bestrebungen vergleichen, der Knnst des Silbers
die Natur mit ihren so einfachen und doch so wunderbaren Bildungen
dienstbar zn machen. Wenn je der apokalyptische Ausspruch Victor Hugo's:
.,Tout sst cluns tout", „Alles ist in Allem", gedeutet werden kann, so ist
es mit Bezug auf diese Bildungen, in die der Künstler thatsächlich seine
ganze Welt versenkt. Die Sammlung Burty in Paris besitzt ein Stück eines
japanischen Metalallarbeiters, das die Inschrift trägt, der Künstler habe es
gemacht, indem er sich vergnügte. Man kann in der That keine glücklichere
Acußerung für die Arbeitsfreudigkeit des Japaners finden, und die gleiche
Stimmung scheint mir den französischen Künstler zu beherrschen. Es ist ohne
Zweifel ein gewisser Naturalismus, der sich hier entfaltet, aber ein verfeinerter
Naturalismus, wie bei den Florentinern der Renaissance, ein Naturalismus,
wie ihn auch mit viel Glück die Engländer ausgenommen haben: der Na-
turalismus des «puattro osuto.

Line hervorragende Rolle spielt das Silber auch im Haushalte des
Engländers: es steht sowohl auf dem einfachen Frühstücks- und Mittagstisch,
wie auch auf dem Abendtisch, und spielt eine Rolle auf der Festtafel. Auf
dem Frühstückstisch, den man in den kleinen Landhäusern, in denen das

Morgeuzimmer (ruoruiuA-roova) mit dem Speisezimmer (cliuiuA-rooru) zu-
sammenfällt, so stellt, daß ihn die Morgensonne mit ihren Strahlen trifft,
tritt es natürlich nur als bescheidenes Geräth auf. Reicher schon auf dem
Mittags- und Abendtisch. Früher, als noch die schwarzen Panneele mit den
echten oder imitirten Ledertapeten darüber gebräuchlich waren, ging es in
der Farbe vortrefflich mit dem Raume zusammen. Die größere Helle, die
man jetzt für Wände und Decken der englischen Iunenräume liebt, haben
es etwas in seiner Wirkung beeinträchtigt. — Mau wird die Bedeutung des
Silbers auf der englischen Tafel am Besten ermessen, wenn mau die Sorg-
fall beobachtet, mit welcher der Engländer seine Tafel überhaupt herrichtet.
Bei ihm hat die Mahlzeit eine Art patriarchalischer Feierlichkeit, sie wird
ihm zur „Hauptaktiou des Familientags, die Krönung des Tagewerks im
Haushalt". (Dohme.) Die Tische werden nach alter Sitte oft nur zum Theil
mit einem Tischtuche bedeckt. Der Grund dafür ist die bisweilen außer-
gewöhnliche Größe der Tische, die bei runder Gestalt nicht selten einen
Durchmesser von etwa 3 Meter aunehmen. Nur da, wo die Gedecke stehen,
stehen diese auf einen: etwa so Zentimeter breiten Tischtuch; in dem auf
diese Weise in der Mitte der Tafel ansgesparten Raume stehen die Schau-
uud Iierstücke des Tisches auf der nackten, jedoch feinpolirten Holzplatte,
in der sie sich vielfältig spiegeln. Die reichere Tafel dagegen in gut ge-
haltenen Haushalten macht auf den dem englischen Wesen ferner stehenden
Beschauer einen überraschenden Eindruck. „Die erstaunliche Fülle des alten
Silbers in seinen großen und vornehmen, dabei aber so einfachen Formen,
seine vorzügliche Konservirung, der geschmackvolle Ausbau der Tafel, die
glücklich vertheilten, zum Theil kostbaren Blumen, der Reichthum an allerlei
gefälligen, die Mitte des Tisches einnehmenden Gefäße:: für Gewürze, Mar-
meladen rc., wie sie bisweilen den Luncheon-Tisch schmücken, die Korrektheit
des Aufbaues, die geradezu strahlende Sauberkeit des Ganzen machen die
englische Tafel zu einer nationalen Ligenthümlichkcit, die sich in der ganzen
Welt nicht wiederfindet. Denn es gehört dazu — wir wollen dies nicht
vergessen — das englische Geld, welches sich so auserlesenen Luxus gestatten,
so zahlreiche Dienerschaft halten kann. Der Engländer hat aber auch in:
Allgemeinen mehr Sinn für eine wohlausgestattete Tafel als der Deutsche.
Mit persönlicher Gewissenhaftigkeit und Regelmäßigkeit ist auch in: „ein-
fachsten Haushalt alles auf dem Tisch wohlgeordnet." Selten findet man
ein Haus, in den: nicht ein paar Blumen, seien es nun Anemonen, Astern,
Rosen, oder seien es Granatblüthen, Tulpen, Primeln, Lyringen nsw.
den Tisch zierten, selten ein Haus, in welchen: „nicht der Glanz des trefflich
geputzten Silbers oder platsck silvsr seinen heiteren und behaglichen Schimmer
über den Tisch wirft". Und dieses Silber hält sich in Bezug auf seinen
Schmuck in den meisten Fällen in den einfachsten Formen, selbst da, wo
es an einen historischen Stil sich anlehnt (wie an den Gueen-Anna-Stil).
Ls wirkt meistens nur durch die Schönheit und Eleganz seiner Linienführung,
durch die Schönheit der Schwingung des Gefäßbauches und des Gefäßhenkels.
Große Feinheiten zeigt es auch in Verbindung mit Glas, entweder mit ge-
gossenem und geschliffenen: Glas oder mit Kristall- und Fadenglas. Immer
ist die Wirkung eine vornehm zurückhaltende. In diesen englischen Geräthen
tritt uns so recht der Begriff der mechanischen Schönheit entgegen, den die
englische Kunst nicht zu ihrem Nachtheil besser kennt wie mir.

Die Silberschmiedekunst und die Anwendung des Silbers haben sich
auch in Amerika zu einem wirklichen Luxus entfaltet, der mit viel Geschmack
und Ligenartigkeit betrieben wird. Die meisten Geschenke werden dort in
Silber, vorwiegend Stücke für die Tafel, gemacht. Es begegnet den: Besucher
einer amerikanischen Familie oft, daß ihn die Hausfrau mit Stolz an ihren
Schrank mit Etagsre führt, in welchen: die Silberstücke aufbewahrt werden,
und man macht der Frau des Hauses kein größeres Vergnügen, als wenn
man die Stücke laut bewundert, was man aus voller Ueberzeugung thun kann,
denn das amerikanische Silber bewahrt bei gewissen Fehlern doch eine wirkliche
Schönheit. Ls ist nicht so leicht und gefällig wie das französische Silber,
man liebt es, das Metallgewicht zur Erscheinung zu bringen, man ist sogar
oft bestrebt, die Aufmerksamkeit einzig und allein darauf hiuzulenkeu. —
Was die Formelsprache aubelangt, so zeigt das elegantere Silber meistens
japanische Einflüsse, da Tisfany geradezu japanische Künstler zur Verarbeitung
des Metalles in seinen Werkstätten beschäftigt. Seltener sind die historischen
europäischen Formen. Die Anwendung des Hammers zur Verarbeitung des
Silbers hat eine Reihe reizvoller Formen und Verbindungen in: Gefolge.
Gft läuft z. B. über die aufgerollten Ränder einer gehämmerten silbernen
Platte ein Lpheuzweig, durch den sich eine Eidechse windet; die Fläche
wird durch einige feinziselirte Insekten belebt. Der Gebrauch oder man
könnte sagen, der Mißbrauch der Eisgetränke hat Gefäße aus Porzellan und
Silber hervorgerufen, welch letztere bisweilen die Formen von kleinen Kannen
aunehmen, ihren Schmuck jedoch wieder aus Japan holen. Da frisches
Wasser das Hauptgetränk jeder Mahlzeit ist — der außergewöhnliche Preis des
aus Europa imxortirten Weines ist die Ursache, daß derselbe nur zun: Nach-
tisch getrunken wird — so sind auch für dasselbe besondere Trinkgefäße in
Silber bestellt. Lhampaguer wird bei opulenten Mahlzeiten reichlicher ge-
trunken und die für ihn bestimmten silbernen Gefäße gehen immer an der
Tafel herum. Das Silber verbreitet sich mehr und mehr in Amerika, aber
 
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