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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Die Spiegel-Manufaktur in Bürgstein in Böhmen
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5eite 60.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

April-k^eft.

Spiegel-"Manufaktur in ^ürgstein in Böhmen.

von Albert Hofmann, Berlin.

«i,enn der beredte Schilderet nordböhmischer kunstindustrieller
Thätigkeit Schebek deu Ausspruch gethan hat: „Nichts An-
deres hat den Namen Böhmens so weit in die Welt getragen,
DÜZMK wie sein Glas", so hat die Spiegelfabrikation des Grtes
Biirgstein in Nordböhmen einen nicht unerheblichen Antheil hieran. — Man
kennt die sogenannten venetianischen Spiegel, bestehend aus der inneren
glatten, oft ovalen, oft recht-
eckigen Spiegelfläche, umgeben
von einein Rahmen ans Glas,
der sich in flachem Relief an
die Spiegelfläche anflegt und
in bescheidener Zurückhaltung
nur durch die Konturen seiner
äußeren Begrenzung wirkt, die
durch angeschliffene Fassetten
und Einkerbungen etwas belebt
ist, auf seiner Fläche eingeätzte
Flachornamente trägt, die in
den zahlreicheren Fällen durch
kleine Punkte, Rosetten usw.
aus Glas unterbrochen sind, und
nur in reicheren Fällen ganze
Reliefblumen aus Glas zeigt.

Die venetianische Industrie
kennt daneben noch die Spiegel-
rahmen aus Glas, welche in
prunkender weise Blumenge-
winde in vollrunder Gestalt
nachahmen und das Licht in
vielfältiger und farbiger Meise
brechen und spiegeln. Diese
Spiegel waren, nachdem der
Glanz Venedigs sich inehr und
mehr verdunkelt hatte, das
Vorbild für die Bürgsteiner In-
dustrie geworden und zumTheil
mit durch ihre Nachahmung
vermochte sich Biirgstein zu der
Bedeutung aufznschwingen, die
es heute als ein Zweig der
österreichischen industriellen Ar-
beit besitzt.— Die Entwickelung
dieser Industrie ist noch nicht
so sehr alt, sie geht im wesent-
lichen nicht über das 18. Jahr-
hundert zurück, über die Zeit,
die für die industrielle Arbeit
in Gesterreich in vielfacher Be-
ziehung als eine Zeit des Um-
schwunges und frischer, that-
kräftiger, mit festem Bewußt-
sein und klarem Blick für das
Nothwendige, Lebensfähige
gegebenen Impulse betrachtet
werden darf.

Im Jahre 1710 gelangt
Biirgstein unter die Herrschaft
des Grafen Wenzel Norbert
Gctavian Kinsky und nun be-
ginnt für den Grt eine Zeit
des Wohlstandes und insbe-
sondere eine Zeit des Auf-

blühens .der Glasindustrie. Um das Jahr 1752 nahm unter Graf Jos.
Maximilian Kinsky die ^Spiegel - Manufaktur in Biirgstein ihren Anfang.
Geschulte Glasarbeiter und Glaskünstler und ein für die Industrie vor-
bereiteter Boden kamen dieser sehr zu Statten. Zuerst Erwähnung geschieht
der Spiegelfabrikation in einem Gesuche, welches Graf Josef Kinsky an die
Kaiserin Maria Theresia richtete, die Erhebung des Grtes Haida zur Stadt
zu erbitten. In diesem Gesuche führte er unter Anderem an, daß er eine
Spiegelschleifmühle errichtet und eine pcrlfabrik übernommen habe. Das
Gedenkbuch der Komter Kapelle gedenkt neben zahlreichen industriellen Unter-
nehmungen des Grafen Jos. Mar. Kinsky auch der Spiegelfabriken, die sich
noch bis heute erhalten haben. Alle anderen, daneben bestehenden In-
dustrien gingen unter.

Bei der ersten Einrichtung der Spiegelfabriken mangelte es an fach'
kundigen Werkmeistern, weshalb sich Gras Kinsky „heimlich" aus Nürnberg
zwei Werkmeister, Vater und Sohn, verschrieb, um die Werke zu leiten. Die
Zahl der Arbeiter, fast dnrchgehends Einheimische, betrug damals 122,
worunter auch die Arbeiter, welche für die Spiegel die verspiegelten Zierrath-
rahmen und Wandleuchter, die vergoldeten Bildhauerrahmen „mit allerhand

Mustern auf die feinste Art,
wie nur immer die Liebhaber
es verlangen mochten", ver-
fertigten. Die Herstellung der
kleineren Spiegelsorten, wie
der Schub-, Feld- und Taschen-
spiegeln, war den Kindern vor-
behalten, welche ebenfalls durch
eine Nürnberger Kraft unter-
richtet wurden. Die Malerei
und das Schnittwerk auf den
Spiegelgläsern, ferner die
Goldschlägerei und was sonst
zur Spiegelfabrikation gehört,
wurde gleichzeitig auf der
Herrschaft besorgt.

Im Ausgange des 18. Jahr-
hunderts betrug der Jahres-
umsatz in Bürgsteiner Spiegeln
4,0-soooo Gulden, an welchem
die inländischen Märkte in
Böhmen, Nähren und Ungarn
beinahe mit der Hälfte theil-
nahmen, während für über
21000 Gulden Waare auf frem-
den Märkten verkauft wurde.
Sachsen, Schlesien, Danzig,
Hamburg, Dänemark, Kurland,
Polen, Moskau, Holland, Spa-
nien, Portugal und nicht zu-
letzt der Grient, namentlich
Aegypten, waren in den 70 er
Jahren des 18. Jahrhunderts
Hauptmärkte für Bürgsteiner
Spiegel, von der Kostbarkeit
der Bürgsteiner Spiegel gibt
der Umstand Beweis, daß in
der vielfach erwähnten Prager
Industrieausstellung des Jah-
res I7gt „Hängspiegel aus
der gräflich Kinsky'schen Bürg-
steiner Fabrik" sich befanden,
die bei so Zoll Höhe einen
Werth von 768 Gulden be-
saßen, eine für jene Zeit recht
ansehnliche Summe. Um jene
Zeit und auf lange hinaus ge-
nossen die Bürgsteiner Spiegel
den Ruf, die venetianischen
und französischen Fabrikate an
Feinheit zu übertreffen. Neben
den Werkstätten in Biirgstein
selbst bestanden und bestehen
bis auf den heutigen Tag
Spiegelschleifereien in Lin-
denau und Wellnitz; letzterer
Grt erhielt 1854, eine neue Spiegelfabrik. In beiden Fabriken wurden die
Gläser polirt und fassettirt, um alsdann den Belegwerkstätten zugeführt zu
werden. Die Möglichkeit des feinen Schliffes der Gläser wird dem in un-
mittelbarer Nähe jener Werke gefundenen Schleifsande zugeschrieben, der bis
zu den kleinsten Körnchen eine gleichmäßige Härte und die seltene Eigenschaft
besitzt, eine so glatte und reine Politur zu ermöglichen, daß selbst mit Hülfe
des Mikroskopes auf der Schleiffläche nicht eine geritzte Stelle von der Größe
einer Nadelspitze zu erkennen wäre.

Seit dem Jahre 187S, in welchem das Gut Fichtenbach im Böhmer-
walde erworben wurde, lieferte die Fichtenbacher Hütte Spiegelglas an die
Bürgsteiner Fabrik ab, im Jahre 1858 allein 2174, Zentner im Werthe von
70000 Gulden. Im gleichen Jahre beschäftigte die Hütte 127 Arbeiter. Um

Abbildung Nummer 911- Reichverzirrteis Fächers. Lntw. von Paul p. Palme.
 
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