Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

DOI article:
Luthmer, Ferdinand: Der Dekoratör
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0026

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Seite s2.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Januar-Heft.


von Professor ^erd. Luthmer.

(eber die deutschen Bühnen ging kürzlich ein französischer
Einakter, betitelt: „Der Millionär a. D." Der Titel-
Held war ein
junger Mann, der es fertig
gebracht hatte, durch raf-
finirte Lebenskunst im
höchsten Stile in wenigen
Jahren ein Vermögen von
ein paar Millionen durch-
zubringen. Mit dem ge-
retteten Rest, der ihm ein
bescheidenes Auskommen
gewährte, hatte er sich einen
eigenen Beruf geschaffen: er
unterrichtete andere Leute,
die viel Geld besaßen, das-
selbe aber nicht in ange-
messener Meise auszugeben
verstanden, in dieser schwie-
rigen Runst. Das graziöse
Stückchen führt ihn uns
vor in seinen Beziehungen
zu einem reich gewordenen
Fabrikanten, der mit seinen
Lebensgewohnheiten,seiner
Wohnungseinrichtung, den
Toiletten seiner Damen rc.
noch auf dem Niveau seiner
bescheidenen Anfänge steht.

Mir sind Zeuge, wie er
nicht nur die Saloneinrich-
tung, sondern auch die
Lebensweise und die An-
schauungen dieses Bieder-
mannes gründlich umge-
staltet. Und da er sich
dabei auch als ein Mann
von Herz und Gemüth zeigt,
so verlassen wir ihn mit
der beruhigenden Gewiß-
heit, daß er demnächst als
Schwiegersohn seinesTlien-
ten die Millionen desselben
ins Rollen bringen wird.

Ich weiß nicht, ob
in Deutschland ein solcher
Vorgang möglich wäre.

Wäre es aber der Hall,
so würde ich diesen jungen
Adligen einen „Dekoratör"
im höchsten Sinne nennen.

Gr bringt zu seinem Be-
rufe mit, was man ver-
langen kann: einen geläu-
terten Geschmack, den er
mit dem Lehrgeld eines

^Abbildung Nr. sss. Ehren -

ansehnlichen Vermögens bezahlt hat, und der sich in seiner eigenen
Lebensführung eine Reihe von Jahren hindurch praktisch bewährt
hat. Ferner die ebenso praktisch erworbene Renntniß des Lebens
in den höchsten Gesellschaftskreisen.

England besitzt eine ähnliche Persönlichkeit, einen „LferUleiDNN-
IrirnisRer" in dem Londoner Dekoratör Reginald Morris. Ein

Mann, der von Haus aus Literat, in der besten englischen Ge-
sellschaft verkehrt, trotzdem er Geschäftsmann mit einem offenen
„sRop" ist — freilich ein Geschäftsmann, den sein sicherer Ge-
schmack zu einem Schönheitsrath höchster Instanz in allen die
Hauseinrichtung betreffenden Fragen gemacht hat. Es soll gar

nicht so selten vorgekom-
men sein, daß Mr. Morris
seinen Salonrock auszog
und höchstselbst aus die
Leiter stieg, um dem Falten-
wurf eines Vorhangs den
letzten Thic zu geben.

Man wird nicht leug-
nen können, daß von Leuten
dieser Art ein ziemlicher
Abstand ist bis zu jenen
Rünstlern, die sich bei uns
„Dekoratöre", oder wohl
auch mit der stolzeren Be-
zeichnung „RrcRiteLtes-
äecOl'Lteiai's" nennen. Es
wäre nun auch widersinnig,
zu beanspruchen, daß Je-
der, der das Geschäft der
Mohnungsausstattung be-
treibt, vorher ein Vermö-
gen verausgabt haben
müßte, um sich praktisch
die Renntnisse dessen an-
zueignen, was die höchsten
Gesellschaftsklassen als
zum standesgemäßen Leben
nothwendig erachten. Bei
der allergrößten Mehrzahl
wird für die sich ihnen
bietenden Aufgaben und
die von der Rundschaft
gestellten Ansprüche der
bisher übliche Ausbil-
dungsgang genügen. Denn
wer wollte es leugnen, daß
im Durchschnitt die Anfor-
derungen auch unseres bes-
seren Bürgerstandes in Be-
zug aus Hauseinrichtung
ziemlich bescheiden sind.
Was verlangt man schließ-
lich? Daß die Wohnung
modern sei. Wenn wir
auch noch nicht so weit
gehen, wie die Durch-
schnitts-Ronsumenten in
Amerika, die ihre Möbel
nur nach dem Musterbuch
vom letzten Vierteljahr aus-
suchen, so wissen wir doch
ziemlich genau, was wir
unter „modern" verstehen.
Zunächst in Stoffen, Wand-
bespannung und Tapeten die Muster der letzten Saison. Dann
in der Wahl des Stils eine möglichste Abwechselung. Wir haben
ja, Gott sei Dank, die Auswahl! Also: großer Salon Norirs
seixe, Boudoir Rokoko, Speisezimmer flamändische oder deutsche
Renaissance, Herrenzimmer spätgothisch (neuerdings in Paris wieder
sehr beliebt!). Der Vorplatz — wenn er groß genug ist, nennt

Pokal. 2,5 natürl. Größe.
 
Annotationen