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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Mielke, Robert: Die moderne Zimmer-Gothik
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0033

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ZU beziehen nur durch den Buchhandel.

Preis vierteljährlich für Deutschland lNk. 5.—, für
Desterr.-Ungarn u. das gestimmte Ausland lNk. 5.50.
Telegramm-Adresse: Aoch Verlag, Darmstadt.

Sämmtliche mit versehenen Illustrationen stehen unseren Lesern zur verwerthung frei.

1«^-- Die Zeitschrift ist verbreitet in allen Kulturstaaken.

Illustrationen und textliche Beiträge nur an die Schriftleitung in Darmstadt erbeten.

Nur Sonder-Hefte sind einzeln ü Mk. 2.— erhältlich.

Buchh.-Vertreter: Eduard Schmidt, Leipzig.
Insertions-Bedingungen am Schluß der Zeitschrift

V. Iahrg. 1894.

-U Leipzig ^ Darmstlldt Wien. M-

Februae-Heft.

'Air mudcrnc -H,nm»rr--Wotlzik.

von Robert Mielke.

wunderbare Wandlungen vollziehen sich
vor unseren Augen! Noch ist es nicht
allzu lange her, als man im Allgemeinen
der Gothik die Fähigkeit überhaupt absprach,
unserer Möbel-Industrie zum Vorbild dienen
zu können, und heute, fast noch unter der
Herrschaft der modernen Renaissance stehend,
befindet sich das Kunstgewerbe in voller Be-
wegung nach einem Formausdruck, der mit
der Gothik viel Verwandtschaft hat. Ja,
es scheint fast, als ob das Aunstgewerbe erst
die Auslese aus allen möglichen und un-
möglichen Stilarten halten mußte,
bevor das wahre Empfinden des
deutschen Volkes sich in seinen künst-
lerischen Thatäußerungen aussprechen
konnte. Aber man beschränkt sich
heute nicht mehr wie vor s5 Jahren
daraus, das Bischen Formschrift,
welches die wenigen Neberbleibsel der
Gothik aufweisen, knechtisch nachzu-
ahmen, sondern verfügt in freier, ent-
wickelnder Weise über die zahlreichen beachtenswerthen Anregungen,
welche gerade diese Stilepoche für uns Deutschen in sich schließt.
Dabei macht sich auch das Bestreben geltend, die Renaissance
soweit mit heranzuziehen, als es zur Erreichung eines möglichst
malerischen Endzweckes nöthig ist. In der Architektur sowohl,

wie in der Kleinkunst, insofern sie sich beide bestreben, selbst-
schöpferisch zu arbeiten, läßt sich die Neigung unschwer erkennen,
aus den noch unentwickelten Formansätzen ein neues zeitgemäßes
Ganzes zu bilden, das weniger von gehaltloser Theorie als von
thatfreudiger Schaffenslust spricht.

Gb diese Bewegung berechtigt ist? Der Fanatiker, der ver-
meint, ein Kunstwerk nur nach dem „Stil" richtig abschätzen zu
können, verneint diese Frage vielleicht; die immer zahlreicher wer-
denden Anderen aber, die in künstlerischen Fragen nur die Schranken
ihrer Empfindung anerkennen, werden die Formenwelt, welche
aus diesem Kompromiß hervorkeimt, als verheißungsvollen Anfang
auf neuer Bahn betrachten; sie werden, ohne nach Ursachen und
Gesetzen zu fragen, das Schöne zu würdigen wissen. Es wird
ja, gottlob, immer allgemeinere Wahrheit, daß in der Kunst weder
Langeweile, noch Engherzigkeit, noch Buchweisheit gelten dürfen.
Vielleicht ist für ängstliche Seelen durch dieses Bekenntniß das
Schreckgespenst wilder Anarchie auch in der Kunst gepredigt; besser
ist aber noch diese als erstarrende Gesetzmäßigkeit. Gewiß kann
und wird auch hier Mißbrauch mit der Freiheit getrieben werden
— bei welchem menschlichen Thun geschieht das nicht? — aber
es gedeiht dabei immer noch mehr, und wenn es die Ueberfülle
ist, als in den engen Schranken des historischen Stilbegriffs.

Das antiquarische Interesse, welches eine Entfaltung der in
der Gothik enthaltenen Keime bisher hintenangehalten hat, ist
jetzt glücklicherweise etwas zurückgetreten vor der fruchtbareren
Formfreudigkeit. Das Wort „Vdi deve, ibi bewahr-

heitet sich bei Licht besehen nur im Reiche der Kunst.

Die moderne Aimmer-Gothik zeigt nicht mehr das aus Büchern
und Abbildungen gewonnene Verständniß, das zu ganz wunderlichen
Vorstellungen über das Wesen des Stils geführt hat, sondern sie
stellt sich als etwas Neues dar, das der Vergangenheit nur die
 
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