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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Ein Bild aus der nordböhmischen Teppich-Industrie
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Mai-Heft.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für I nnen-D ekoration. Leite 73.

Min ^ild aus der nordbvhmischen Meppich-°Hndustrih.

Von Albert ffofmann, Berlin.

dem reichen, mit bienenartiger Emsigkeit schaffenden
Industriegebiet des nördlichen Böhmens überragt alle
übrigen kunstgewerblichen Erzeugnisse bei weitem die
mächtige Entwicklung der textilen kunstindustriellen Produktion,
sowohl was die gewebten, dem
maschinellen Betrieb entstammenden
fassonirten Stoffe, wie die Möbel-
stoffe von Gebr. Pfeiffer in Warns-
dorf, die gewebten Teppiche und
Decken der Firmen Ignaz Ginzkey
in Maffersdorf und Aubin protzen
L Eie. in Reichenberg anlangt, wie
auch hinsichtlich der den besten
orientalischen und abendländischen
Borbildern in glänzender Weise
nachgeahmten, sowie nach den
schönsten eigenen Entwürfen her-
gestellten geknüpften Erzeugnisse
und der durch Handdruck herge-
stellten Eottondruckstoffe der weit-
hin bekannten Firmen von Franz
Leitenberger in Uosmanos, Johann
Liebieg L Eo. in Reichenberg, Franz
Liebieg in Dörfel bei Reichenberg
und Franz Lchmitt in Böhmisch-
Aicha. Die hier genannten Namen
sind heute auf dem Gebiete der
Textil-Industrie Nordböhmens die
Träger des Weltruhmes der nord-
böhmischen Industrie. In ihren
Erzeugnissen, soweit sie der Art
ihrer Entstehung nach dem Gebiete
der Aunstindustrie angehören, erlebt
das Uunstgewerbe Triumphe feiner
und harmonischer künstlerischer
Farben- und Formen - Gebung.

Es sei gestattet, diesmal ein
Bild der Entwicklung und künstle-
rischen Thätigkeit der Teppichsabrik

von I. Ginzkey in Maffersdorf zu geben, welches das Unternehmen
von seinen kleinen Anfängen bis zu seiner heutigen Ausdehnung
schildern soll. Der Begründer der Fabrik, Ignaz Ginzkey, ging,
wie die meisten hervorragenden Industriellen der dortigen Gegend,
aus sehr bescheidenen Verhältnissen hervor. Am 23. Juni s8j9
in Maffersdorf geboren, betrieb er Anfangs neben der Gärtnerei
auch die Weberei und Tuchleistenspinnerei, bis er nach dem früh
erfolgten Tode seines Vaters und der ihm nunmehr zugefallenen
Lorge für die Familie sich gezwungen sah, seiner geschäftlichen
Thätigkeit eine andere Richtung zu geben. Die Handweberei auf
einem einzigen Ltuhl warf nicht den genügenden Verdienst für

Abbildung 92s. Treppenhaus in Chislehurst. von Arch. L. Newton.

den Lebensunterhalt einer zahlreichen Familie ab und so entschloß
er sich denn, im Jahre sSHI den ersten Teppichstuhl mit einer
Jacquard-Maschine aufzustellen. Dem Entschluß folgte der Erfolg
und mit ihm im Herbst desselben Jahres ein zweiter Ltuhl und

im Jahre s8H5 auch der erste
Stuhl zur Erzeugung von Decken
aus Schafwolle. Das war der
kleine und unbedeutende Anfang
eines Fabrikationszweiges, welcher
durch die Energie und den Scharf-
blick des Begründers der Fabrik
einen so glänzenden Aufschwung
nehmen und zur Anlage der heute
bestehenden großartigen Fabrik-
gebäude führen sollte.

Im Jahre s8^5 brachte Ignaz
Ginzkey zum ersten Male seine
selbst erzeugten Teppiche und Decken
auf den Wiener Markt. Der Er-
folg war ein derartiger, daß bereits
j8H7 mit sechs Teppichstühlen und
einem Deckenstuhl gearbeitet werden
konnte. Die gleichzeitige Errichtung
einer Färberei half einem lebhaft
empfundenen Mangel ab. Das
Unternehmen wuchs von Jahr zu
Jahr; s836 erwarb Ginzkey eine
Fabrik, vergrößerte dieselbe s858
und j86s und entwickelte das Ge-
schäft so, daß, als er die Londoner
Ausstellung beschickte, er innerhalb
der Fabrikräume bereits 230 Per-
sonen Arbeit gab, während er
außer dem Pause noch 80 Familien
mit Spinnen beschäftigte. s863
wurde unter gleichzeitiger Erwei-
terung der Spinnerei ein großes
Webereigebäude ausgeführt und
man begann, den immer größer
werdenden Bedarf an Uunstwolle selbst zu erzeugen. s872 begann
der Bau eines zweiten großen Webereigebäudes und als Ignaz
Ginzkey am 3. Mai s876 in Folge eines Herzschlages die Augen
schloß, konnten seine Söhne ein blühendes Geschäft als werth-
volles Erbe antreten. Zunächst übernahmen die beiden ältesten
Söhne, Ignaz und Willy, die Leitung des umfangreichen Unter-
nehmens, bis s89s auch der jüngste Sohn Alfred in die Leitung
eintrat. Sie haben die Hände nicht ruhen lassen, und dem einen
Teppichstuhl mit Jacquardmaschine des Jahres j8H3 stehen heute,
nach fünfzig Jahren, in der Weberei 250 mechanische Stühle und
über jOO Handstühle, darunter 70 für Unüpfteppiche, für Teppiche
 
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