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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Luthmer, Ferdinand: Der Tapzierer und seine verschiedenen Stile
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Hochegger, R.: Die künstlerische Erziehung der deutschen Jugend, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0114

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Seite 82.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Juni-Heft.

Zeit sind wir daher rein auf die historische Forschung angewiesen,
für welche uns theils Abbildungen, theils die Erwähnung in
alten fürstlichen Inventarien das Material liefern.

Daß Fensterverschlüsse aus Geweben zu allen Zeiten existirt
haben, kann man ohne Weiteres an-
nehmen; ihre Anentbehrlichkeit war um
so größer, je mangelhafter die sonstigen
Verschlüsse der Fenster waren. Doch haben
die Watten und anderen Geflechte, die
man lediglich als Schutzvorrichtungen vor
die offenen Fensterlöcher hing, mit unserer
Frage eigentlich nichts zu thun. Uns
interessiren erst die vor die Fenster und
Thüren gehängten Tücher, die durch Ma-
terial oder kostbare Ausstattung mit
Stickerei rc. Gegenstand der Erwähnung
in den alten Schloß-Inventarien wurden.

Solchen begegnen wir zuerst im Jahre
s3s6; den französischen Namen für diesen
Gegenstand, „riäesri", finden wir zuerst
in der Beschreibung zweier Schlösser des
Königs Rene von sH7s. Wie diese Vor-
hänge ausgesehen haben, dafür gibt uns
diese Erwähnung allerdings keinen An-
halt; wir wissen nur, daß sie aus einem
Stück Stoff bestanden und nach einer Seite
gezogen oder geschoben wurden. Daß
hierbei von einer künstlichen Aufhängung,
der eigentlichen „Aufmachung", die wir
heute von einem anständigen Vorhang
verlangen, keine Rede war, liegt auf der
Hand. Aber auch die mittelalterlichen
Miniaturen, die uns sonst über so manche
Seite des privaten Lebens ihrer Zeit Aufschluß geben, verlassen
uns hier gänzlich, woraus wir den Schluß ziehen dürfen, daß
bis zum Ausgang der gothischen Periode die Verwendung von
Fenstervorhängen keineswegs eine allgemeine war. Die hübschen
Interieurs, welche Viollei-Ie-Vric in seinem DictioniiLire äu

Nodilier gibt, von denen wir aber nicht erfahren, ob sie aus
Grund alter Darstellungen gezeichnet oder Fantasiebilder des geist-
reichen Forschers sind, zeigen uns die Aufhängung dieser einfachen
Fenstertücher an schön geschmiedeten horizontalen Auslegern, die
ebenso wie die Träger von Waagen an
der Wand drehbar sind.

Die erste Runde von Fenstervorhängen
aus zwei „Shawls", wie wir sie kennen,
erhalten wir aus dein Bericht eines der
ältesten Modejournale, dein „Nerciare
^LlLut" von s673, der diese Anordnung
als merkwürdige Neuerung mittheilt, und
angibt, daß sie nach zwei Richtungen aus-
einander gezogen wurden. Daß diese
„riäLLiax" anfangs aus kostbaren Seiden-
stoffen angefertigt wurden, erfahren wir
aus dem nämlichen Journal, welches sich
im Jahre s675 in Klagen darüber er-
geht, daß der Geschmack sich von diesen
schweren Stoffen ab- und den leichten,
bedruckten Baumwoll-Stoffen zuwende.
Immer bleibt unsere Kenntniß von der
künstlerischen Form, welche man diesen
Vorhängen des s7. Jahrhunderts gab,
eine außerordentlich beschränkte. Wenn
wir uns trotzdem der Aufgabe gegenüber,
einen ziemlich stilrichtigen Vorhang im
Barockstil zu entwerfen, nicht vollkommen
hülflos fühlen, so verdanken wir dies
dem Umstand, daß der letztere eine Ver-
zierungsform in den Vordergrund stellte,
die eigentlich unsere wirksamste Hülfe bei
allen dekorativen Aufmachungen über-
haupt ist: den Lambrequin. Sicher hat ja die italienische
Renaissance das Motiv des Baldachins mit den herabhängenden
ornamental ausgeschnittenen Zeugstreifeu bereits gekannt und bei
Kirchenfesten, Prozessionen u. dgl. häufig angewendet — es sei
nur an zahlreiche Bilder der thronenden Madonna aus der Zeit

künstlerische Erstehung

der deutschen -Dugend.

von Professor Dl. R. Hochegger. (Schluß »US dem Mai-Pest.)

dagegen, das nur ungefähr ein Zehntel der
Bevölkerungszahl von Deutschland besitzt, verwendet
jährlich über 360 000 Mark für die entsprechenden
Bestrebungen; zu Ende von s8fl0 genossen nicht weniger als
s3fl2 Schulen zu dem erwähnten Zweck Staatsunterstützungen.
In Frankreich wird an nicht weniger als 20000 Schulen
methodischer und unentgeltlicher Handfertigkeitsunterricht ertheilt,
in Paris allein erhalten HO 000 Volksschüler Unterweisung und
werden von Seiten der Stadt gegen 30 000 Franks dafür aufgebracht.
Ist es da noch verwunderlich, daß in Frankreich die Kunst und
Kunstindustrie volksthümlich ist und aufblüht, während bei uns
die Kunst noch als zum Luxus gehörig betrachtet wird und nur
wenige Auserwählte Kunstsinn besitzen? Trotz der Reformbestre-
bungen auf dem Gebiete der Schulen und der steten Betonung,
daß die Schule eine allseitige Entwicklung des Zöglings anzustreben
habe, ist bei uns die ästhetische Erziehung noch immer Stiefkind.
Insbesondere leidet unsere gelehrte Mittelschule — das Gymna-
sium — an diesem Mangel. Den Kern des Kunstunterrichtes
am Gymnasium bildet naturgemäß der Zeichenunterricht. Derselbe
ist aber nicht bloß ein Aschenbrödel unter den Lehrgegenständen,

sondern auch in methodischer Hinsicht ganz auf falschen Bahnen.
Abgesehen davon, daß der Zeichenunterricht nur als eine Neben-
sache angesehen wird und daß man in Folge dessen auch wenig
auf die gehörige Vorbildung der Zeichenlehrer bedacht ist und
selten künstlerisch fähige und geschulte Lehrkräfte anstellt, hat man
dem Zeichenunterricht einen durchaus gelehrten Karakter gegeben.
Wie das Gymnasium die Sprachen in der Weise lehrt, daß der
Schüler den mühseligen Weg durch die abstrakte Grammatik ge-
führt wird und man Jahre der bloßen Lrkenntniß der leeren
Form widmet, so suchte die Gymnasialpädagogik das Zeichnen
der Mathematik anzunähern; diese Richtung setzte sich sogar in
einen gewissen Gegensatz gegen die künstlerische Auffassung und
den künstlerischen Zweck des Zeichnens und quälte die Zöglinge
mit einer abstrakten Systematik. Wie der eine Sprache nie be-
herrschen lernt, der sie von der Grammatik aus lernte, ebenso-
wenig wird der ein Zeichner, der Jahre lang mit der Projektions-
lehre, darstellender Geometrie, Schattenlehre usw. geplagt wird,
ohne je eine lebendige Anschauung der Naturgegenstände gewonnen
zu haben und zu einer freien und selbständigen grafischen Auf-
fassung und Skizzirung gekommen zu sein. Die übertriebene Be-
tonung des Geometrischen hat die Freude am künstlerischen Zeichnen,
hat das das Gemüth anregende ästhetische Interesse vollständig
ertödtet. Wenn der Zeichenunterricht wirklich künstlerisch erziehen
soll, so muß er vor allen Dingen wieder Inhalt gewinnen, und
letzteres ist der Fall, wenn er Zusammenhang mit der Natur
erhält, wenn der Sinn für die grafische Auffassung des Gegen-
 
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