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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Mielke, Robert: Die moderne Zimmer-Gothik
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Waldau, Otto: Zur Geschichte der Innendekoration bezw. der Möbel, [3]: mit besonderer Berücksichtigung Frankreichs
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0034

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Seite s8.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Februar-Heft.

Anregung dankt. Geister, wie Aim bei in Breslau, Bembe in
Mainz u. A. gehen mit Erfolg darauf aus, das freie künstlerische
Schaffen der Gegenwart innerhalb der Schranken des nationalsten
deutschen Aunststils sich entfalten zu lassen. Vielleicht gehen sie
auf diesem Wege manchmal weiter, als es der Dogmengeist
des Stiltheoretikers billigen wird, der
dieser Schöpfung vielleicht den Namen
„Gothik" vorenthält. Mag's denn
sein! Die Araftfülle, welche sich in
dieser genialen Schöpferlaune ausspricht,
wird sich lebensfähig erweisen. Die
Neigung unserer Generation, überall
gleich ins Extreme zu gehen, bleibt
dann auch hier noch nicht stehen; schon
verkündet der prächtige Aronleuchter
(Abbildung Nr. 86-H und der Blumen-
tisch (Abbildung Nr. 865) eine weitere
Entwickelung an, aber solche Thaten
brauchen wir, um zu beweisen, daß
trotz allem Jammer doch noch eine
gesunde Ader in unserem Stilempfinden
ist. Nur weiter so und wir werden
mn Ende noch selbständiger auf an-
deren Gebieten. Betrachten wir die
Details in den Zeichnungen dieses Heftes,
so wird es ersichtlich, wie sehr wir von
der Steingothik, die man vor nicht
langer Zeit allein nur als Vorbild
eines Möbelstils angesehen hat, zurück-
gekommen sind zur wahren, aus dem
Material entwickelten Horm. Verlassen
sind hier jene Wege, welche uns Archi-
tekturen in das Zimmer schmuggelten,
welche Maßwerk, Wimperge, Fialen und sonstige Steinmetzformen
mit verblüffender Nngenirtheit auf das Holz übertrugen.

Allerdings hat auch diese Zimmer-Gothik ihre Grenze, da
dieser Stil mehr als jeder andere einen Stimmungswerth hat, der
ihn für gewisse Zwecke ausschließt. Für das Boudoir einer Dame

dürfte er z. B. nur ausnahmsweise Anwendung finden, weil ihm
die Geschmeidigkeit fehlt, die das in Schmuck und Eleganz, in
Spiel und Tändelei sich aussprechende Wesen des Weibes in seiner
Umgebung beansprucht. Es lassen sich gewiß auch andere Grup-
pirungen in der modernen Zimmer-Dekoration verfolgen, die von

der Eigenart des Znnehabers einer
Wohnung bestimmt werden. Eine Be-
vorzugung der Gothik dürfte sich bei
den Junggesellen Herausstellen, die in
ihrer burschikosen Anlage hier eine
verwandte Seite entdecken. Auch für
Bibliothek- und Studirzimmer könnte
sie sich gut eignen, da ja bei der stillen,
ernsten Arbeit des Gelehrten ein prunk-
loses, gothisches Gemach unwillkürlich
anziehender ist, als die in volleren Ak-
korden klingende Renaissance oder das
spielende Allegro des Rokoko. Ueber-
dies ist die Alosterzelle oder die Biblio-
thek so innig mit den Anfängen der
Wissenschaften verwachsen, daß eine
solche Umgebung für träumerische,
sinnende Naturen immer etwas Ver-
lockendes haben dürfte. Zn der Ab-
bildung Nr. 872 und der ersten Bei-
lage haben wir gute Beispiele für diese
Art der Anwendung.

Mehr als Wohnzimmer ausge-
bildet, doch noch mit einem Stich in
das Ungebundene fröhlicher Burschen-
herrlichkeit ist das Arrangement des
Aimbel'schen Zimmers, das in den
Abbildungen Nr. 866, 868—870 und
Beilage I dargestellt, durchgeführt. Zn ihm ist, ein recht sinniger
Gedanke, die ausgesprochen ernste Richtung der Gothik durch den
freundlichen Erker gemildert. Welch sonniges Bild häuslichen
Friedens, wenn man sich den Hausherrn am Schreibtisch thätig
und hier in diesem trauten Winkel sein heiteres Weibchen mit

Abb. 86H. Kronleuchter; im goth. Stil. Lntw.v.M.Rimbel.

Me der -Innendekoration

dezw. dey Model

nrit besonderer Merncksichtignng Itrnnkreichs. — II.

l)oil Btto Waldau, p>aris. (Fortsetzung a. d. Immar-tzeft.)

on den Aünstlern, die zu diesen Neuerungen besonders
beitrugen, sei der Aönigliche Aunsttischler Zoubert und
David Roentgen von Neuwied erwähnt, der sich „mecha-
nischer Aunsttischler", „Aunstmechaniker" der Aönigin nannte, und
vor Allem Rießner, der Arbeitsschränkchen und Nähtischchen für
die Frauen mit großem Geschmack fabrizirte. Rießner richtete
die Füße der Truhen, Sesseln und Tische wieder gerade und gab
ihnen ihre Eleganz zurück, obgleich sein Stil ein wenig muthwillig
war. Er war es, dem die Aunst den Anstoß zur Anfertigung
jener geschmackvollen Möbel verdankte, welche die Zeit Marie
Antoinette's karakterisiren. Die Sessel sind geschmückt mit Medaillons
der berühmten Florentiner Stoffe und garnirt mit Damast von
Lyon. Zn Rießner lebt Boule wieder aus. Nun bricht die Re-
volution aus. Der Stil, der bis dahin an der Tagesordnung
war, verschwindet, die Aunsttischlerei verjüngt sich und der Empire-
Stil wird vorherrschend. Aber die modernen Zeiten bringen neue
Bedürfnisse und neue Zdeen mit sich.

Mit dem Zeitalter der Revolution beginnt eine vollständige
Umwälzung der Zimmer-Dekoration. Unter den früheren Regimen
hatte man nach Eleganz und nach dem Geschmackvollen gestrebt.

Zn der Geschichtsperiode, auf welche wir jetzt zu sprechen kommen,
wenden sich die Geister der Nachahmung der Antike zu. Man
beginnt das Leben und die Gewohnheiten der griechischen und
römischen Heroen zu kopiren und die Aunst folgt dieser Richtung.

Es läßt sich dies übrigens unschwer erklären. Zn Paris
gab es vor der großen Revolution keine Museen für Malerei und
Bildhauerkunst, wo die jungen Aünstler die alten Meisterwerke
hätten studiren können. Die wenigen antiken Statuen, die Frank-
reich besaß, waren in den Gallerien von Versailles eingeschlossen.
Auf diesen Mangel an Modellen folgte nun plötzlich ein unge-
ahnter Ueberfluß an alten Meisterwerken. Die Eroberungen, die
Frankreich in Ztalien machte, brachten eine beträchtliche Anzahl
von Gemälden, Statuen, Möbeln und anderen Meisterwerken der
italienischen Renaissance in das Land. Das Publikum begeisterte
sich für dieselben und man wollte die Zimmer-Einrichtungen nun
auf einmal L iL Rom und Z. 1L Griechenland dekoriren. Zu
dieser Zeit tauchten die Betten „Z. 1L Revolution" aus mit
etruskischen Bordüren und Fransen. Die abgerundeten Formen
der früheren Periode mußten der geraden Linie weichen. Die
Fauteuils in Mahagoni, die populär zu werden anfingen, nahmen
schaufelförmige Lehnen an, die mit in Grau gemalten Aameen
versehen waren. Unter dem „Direktorium" kehrte man indessen
zu weniger strengen Formen zurück. Die Bücherschränke, Schreib-
tische und Aommoden werden wieder, wie bei dem Stile Lud-
wig XVI., mit schmalen Bändern von vergoldetem Aupser und
mit Gallerien aus reinem Aupser verziert.
 
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