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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Mielke, Robert: Die moderne Zimmer-Gothik
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Waldau, Otto: Zur Geschichte der Innendekoration bezw. der Möbel, [3]: mit besonderer Berücksichtigung Frankreichs
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0035

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Februar-Hest. Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration. Seite fff

Landarbeit beschäftigt denkt. Man hört fast das regelmäßige
Ticktack der Wanduhr, das prickelnde Geräusch der emsigen Nadel,
während die gedämpften Lichtstrahlen spielend durch den Raum
huschen. —- Gin großer Theil unserer Kunstästhetiker verwirft,
wie mir scheint mit Unrecht, diese runden, verbleiten Scheiben,
wit denen der Künstler das Zimmer aus-
gestattet hat, und die durch die, nach
ihnen benannte „Butzenscheiben - Lyrik"
etwas in Verruf gekommen sind. Wer
sich jedoch die Unbefangenheit des Ur-
theils bewahrt hat, wird auch den harm-
losen Reiz empfinden können, wenn das
gebrochene Licht durch die grünlichen
Scheiben hindurchzittert und flimmernde
Tonnen aus Boden und Wände malt. Ls
mag auch noch auf die schöne Thür hin-
gewiesen sein, die im echten Holzstil ge-
arbeitet (Abbildung Nr. 868) durch kräf-
tige Züge ihre Aufgabe verräth. Line
freiere Schöpfung, aber ganz im Geiste
der übrigen Möbel, stellt sich in dem
Titzmöbel (Beilage I) dar, welches allein
ein prächtiges Stück moderner Tischlerei
ist. Das ganze Zimmer ist eine glückliche
Uebersetzung der in Tyrol erhaltenen
Bauern-Gothik, oder besser noch, eine
Weiterentwickelung der hier sich findenden
Ansätze; es ist ein höchst malerisches In-
terieur! Karaktervoll, ernst und doch mit
gewisser Leichtigkeit spielt die volle, ent-
wickelte Gothik schon in die Renaissance
hinüber, wenn es auch nur leise Anklänge
sind, die in dem Zusammenklang der
Linien zum Ausdruck kommen. — Zn ähnlicher Art ist auch die
Formensprache des Herren-Arbeitszimmers von Bembe (Abbildung
Nr. 877), dem aber der Zug des Familiär-Zntimen des vorigen
abgeht. Während aber bei dem letzteren die Möbel in vollstem
Linklange mit der Dekoration des Raumes stehen, sind sie in dem

anderen selbständiger gebildet, so daß sie auch in einem Mieths-
raum nicht allzu befremdend wirken würden. Ls muß das her-
vorgehoben werden, da bei Vielen ein Wechsel der Wohnung nicht
ausgeschlossen ist, und durch die manchmal sehr großen Ver-
schiedenheiten des Raumes aus der einen Seite und der Möbel
aus der anderen oft die schönste Wirkung
verloren geht.

Lin ferneres Gebiet, das der Gothik
recht hübsche Aufgaben stellt, ist das
Speisezimmer. Zm Allgemeinen hat man
hier, einem natürlichen Zuge folgend, die
Renaissance bevorzugt, aber schon bei
einer Abart desselben, dem Trinkzimmer,
ist stets, als schämte man sich der glän-
zenden, Ueppigkeit verrathenden Renais-
sance, die Gothik beliebter gewesen, oder
man bewegte sich zwischen beiden Form-
gebieten hin und her; vielleicht deshalb,
weil sie auch in ihrer geschichtlichen Lnt-
wickelung ineinander verlaufen.

An Linzelmöbeln bietet das vorlie-
gende Heft eine ganze Reihe, welche be-
weist, wie sehr sich die Gothik unseren
Bedürfnissen anpassen kann, ohne sich dabei
in allzu phantastischer Weise zu bewegen.
Der Stuhl, der Bücherschrank und ferner
das Büffet sind durch die Anfangsvignette
und die Abbildungen Nr. 875 und 878
und Beilage II in hübscher Weise ver-
treten. Die ersteren dürsten sich leicht jeder
Zimmereinrichtung ähnlichen Geschmackes
einstigen, prächtig, fast üppig, erscheint
dagegen der gewaltige Aufbau in unserer
Beilage, welcher das Möbel durch seine räumlichen Ausdehnungen
in besonders große Räume verweist. Das Ausklingen der Orna-
mentik in schlanke Spitzen verträgt sich nicht mit den rechteckigen,
ebenen Decken unserer Wohnungen; es ist dieses Büffet daher wohl
auch für ein Gewölbe oder langen, fluchtartigen Saal gedacht,

Abb. 865. Vlnmrniisrlz im Milz. Stil, von M.Uimbel.

Das Hinneigen des Geschmacks nach den griechischen und
römischen Meisterwerken ist dem Linflusse des Malers Louis David
zu danken, sowie den beiden Architekten Fontaine und percier,
die in den Zähren s785 und 1Z86 in Rom waren. Der Maler
der Horatier und Turiatier (David) gab das erste Beispiel zu der
Umformung des Möbels in antikem Sinne. Zn seinem Atelier
fanden sich Mahagonistühle mit rochen Kissen, die mit schwarzen
Palmblättern verziert waren. Man sah dort u. a. auch zwei
Ltühle in Bronze-Ausführung mit Beinen in der Form einer
römischen X, deren Lehnen und Fußenden Thierköpse schmückten,
sowie ein ganz antikes Bett.

Fontaine und Percier lieferten die Zeichnungen verschiedenster
Art, nach denen das Mobiliar angefertigt wurde; sie schufen
Modelle für Stoffe, Teppiche, Möbel, Tapeten und Bronzen, die
zur Ausschmückung von Privathäusern dienten. Napoleon I.
betraute sie mit der Dekoration des Schlosses IxL NKIrnLison
und ernannte sie später zu Architekten des Louvre und der Tuilerien.
Percier, dessen Name bekannter und berühmter ist als der seines
Freundes, wußte in seiner Kunst den Geist der Liuheit besonders
zu wahren, und dies ist ein karakteristisches Merkmal für diese
Lpoche geblieben. Lr fertigte Zeichnungen von allen Gegenständen
an, die für ein und dieselbe Wohnung bestimmt waren und die-
selben mußten unter einander harmoniren. Lr suchte seinem Stile
Dauerhaftigkeit zu geben, da er richtig erkannt hatte, daß es bei
den alten Meisterwerken als eine Grundregel gilt, jedem Gegen-
stände seine Originalität und seinen Karakter zu wahren, zu

variiren in den nebensächlichen Formen, die Grundform jedoch
jederzeit sestzuhalten. Percier verstand es wirklich meisterhaft, ein
Mobiliar herzustellen, welches seiner Bestimmung getreu blieb und
mit den diversen Lrfordernissen derselben vollkommen überein-
stimmte. — Ls ist begreiflich, daß aus diese Weise eine Stilart
von großer Linsachheit geschaffen wurde — stellenweise vielleicht
sogar auf Kosten der Lleganz — jedoch von einer außerordent-
lichen Reinheit der Linien und — was bei Möbeln entschieden
die Hauptsache ist — konform mit ihrer Bestimmung.

Die Modelle, die von den eben besprochenen Künstlern ge-
schaffen wurden, dienten besonders einen: Manne von großem
Talente, Zacob Desmüller, als Vorlagen. Lins seiner berühm-
testen Meisterwerke, welches aus unsere Tage überkommen, ist ein
für Napoleon I. angefertigter Schreibtisch. Die Verzierung an
demselben erscheint nicht sehr reich, hingegen zeichnet er sich durch
außerordentliche Sauberkeit der Ausarbeitung und seine Bequem-
lichkeit aus.

Mit der Zeit der Restauration und während der großen
Kriege des Kaiserreichs trat die Tischlerei in ihre Glanzperiode.
Die romantische Bewegung, die sich in dieser Lpoche vollzog,
führte die Geister aus den Geschmack der Möbelschnitzereien des
sH. und s5. Zahrhunderts zurück, die von Nombro Rebalier rc.
ausgeführt wurden. Der Modestil wurde der gothische. Später
verflieg man sich wieder zur Renaissance und aus die spitzen
Profile der Zeitgenossen Albrecht Dürer's folgten die sanften
Rundungen Zean Goujon's. (SckiuH m, 2. B°gen.)
 
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