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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Hofmann, Albert: Tafel-Silber, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0230

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5eite

November-!)eft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

astl

von Albert Hofmann in Berlin.

s sei mir erlaubt, diesem Aufsatze zwei geflügelte Worte voran-
zusetzen, das eine ein deutsches, das andere ein französisches.
Wir werden neben deutschen immer wieder auf französische
Aeußerungen zurückkommen müssen, wenn es sich darum handelt,
Kunstverhältnisse und Kunstzustände namentlich unseres gesellschaftlichen Lebens
zu schildern. Denn trotz allen gegeutheiligen Aeußerungen ist die Feinheit des
Gesellschaftslebens in künstlerischer wie in schöngeistiger Beziehung, wie sie
in Frankreich seit den Tagen der großen Lncyclopädisten sich entwickelt hat
und dasselbe beherrscht, und wie sie von dorten auf alle anderen Kultur-
länder übergegangen ist, von Deutschland bis heute noch nicht erreicht.
Man wird ja entschuldbare Gründe für diese Thatsache anführen können,
Gründe, die vor Allem in dem lebhafter empfindenden Karakter der roma-
nischen Völker gegenüber dem mehr beharrenden, langsamer, dafür aber tiefer
ausnehmenden der germanischen Stämme liegen, aber inan wird diese That-
sache immer als eine solche bezeichnen müssen. Dies gilt vor Allem vom
Schmuck der Tafel. Das deutsche geflügelte Wort, welches ich in dieser
Beziehung anführen möchte, ist das Wort: „Der Mensch ist, wie er ißt".
Und das französische Wort ist eine Aeußerung des großen Buffon und heißt:
„Vs stzäs o'ssb IMormns", d. h. der Stil ist der Mensch, der Stil ist nichts
Aeußerliches, sondern geht vom Menschen aus und wird vom Menschen
gegeben, wo käme dies deutlicher zum Ausdruck als beim Tafelschmuck?

wenn wir bei einer Würdigung des Tafelschmuckes zuerst den Blick
nach Frankreich, dann nach England und Amerika und erst in dritter Linie
nach Deutschland wenden, so liegt das neben den Gründen, die in der Eigenart
der Rasse liegen, besonders auch in den politischen und den von ihnen ab-
hängigen gesellschaftlichen Zuständen dieser Länder, wer hätte in Deutsch-
land zur Zeit des so jährigen Krieges, zu einer Zeit, in welcher Frankreich
unter Ludwig XIII. blühte und in künstlerischer Beziehung die köstlichsten
Werke schuf, zu einer Zeit, in welcher England trotz der konsliktenreichen
Regierungszeit Karls I. als ein reiches Land gelten konnte, wer hätte damals
in Deutschland außer den Fürsten und den reichsten Familien daran gedacht,
dem Tafelschmuck, dem Tafel-Silber seine Aufmerksamkeit zu widmen? wer
hätte daran gedacht zur Zeit des siebenjährigen Kriegs, als die Leere der
Staatskassen dem Staatsbürger schwere Pflichten auferlegte, während in Paris
Ludwig XV. üppigen Prunk entfaltete und die Verschwendung herrschte?
wer hätte endlich daran gedacht zur Zeit der Freiheitskriege, in welcher die
deutschen Frauen Schmuck aus Eisen trugen und ihren Paarschmuck dem
Vaterland zum Vpfer brachten, während in Frankreich das Empire zeigte,
wie schnell sich das reiche Land von der Revolution erholt hatte, während
in England die britischen Schiffe alle Meere beherrschten und das Reich
Großbritannien seinen Feinden die letzten überseeischen Kolonien abnahm
und dadurch trotz der von Napoleon I. verhängten Kontinentalsperre Schätze
aus Schätze häufte?

Man wird es sonnt begreiflich finden, wenn unter all diesen Umständen
das Tafel-Silber seine Ausstattung und seine Formen, das Tafel-Silber im
Zusammenhang mit dem übrigen Schmuck der Tafel, wie Blumen, Gläser,
Linnen usw., das Tafel-Silber, das ja so leicht entbehrlich war, und das
heute, wenn auch zunächst nur in einzelnen Stücken und seltener als eine
geschlossene Komposition, die sich auf alle seine Stücke gleichmäßig ausdehnt,
aber doch eine Verbreitung gefunden hat, die bis weit in die mittleren
Schichten der Gesellschaft sich verzweigt, ich sage, man wird es unter diesen
Umständen begreiflich finden, wenn das Tafel-Silber lange Zeit von Frank-
reich abhängig war und zum großen Theil noch ist. Um dieses festzustellen,
bedarf es nicht einer besonderen Vorliebe für Frankreich, die übrigens bei
seiner von den Einsichtigen auch in vielen Gebieten unbestrittenen Ueber-
legenheit in künstlerischer Beziehung vollkommen gerechtfertigt wäre, sondern es
bedarf nur der einfachen, nüchternen, kalten und leidenschaftslosen Betrachtung.

Damit möge es begründet sein, wenn ich bei der Betrachtung des
Tafel-Silbers in erster Linie seine Entwickelung und Ausbildung in Frankreich
schildere, jedoch in der Zeit nur so weit hinaufsteige, als die zu schildernden
Zeiten Verwandtschaft mit den gesellschaftlichen Zuständen unserer Zeit zeigen;
denn nur auf eine Schilderung des Tafel - Silbers mit Bezug aus unsere
heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse und Ansprüche kommt es mir im
wesentlichen an. Wer die historische Entwicklung sucht, den muß ich auf
die Werke von Jakob Falke, Alwin Schultz, Gustav Freitag: Bilder aus der
deutschen Vergangenheit, Anton Springer, Havard: Dictionnaire usw., dann
auf die neuesten Handbücher von Lessing und Havard verweisen.

Für eine Schilderung des Tafel-Silbers mit besonderer Rücksicht auf
unsere heutigen Verhältnisse ist die ganze Zeit vor dem tS. Jahrhundert
auszuschließeu, denn erst von dieser Zeit ab fangen die französischen Sitten
und Gebräuche an, die Gestalt anzuuehmen, die zum großen Theil noch auf
unser heutiges Gesellschaftsleben Einfluß hat und zwar einen solchen Einfluß,
daß, wie man in den Zeiten des Empire ausrief: „wer befreit uns von

nlber.

Griechen und Römern", wir heute ausrufen möchten: „wer befreit uns-
von Louis XV".

Ludwig XIV. hatte in Lebrun und Jean Btzrain vortreffliche Zeichner
für sein Silber. Das Schloß zu Versailles war ausgestattet mit Silberstückeir
reichster Art, wie sie in Potsdam, Würzburg, Schleißheim und anderen kleinen
deutschen Residenzen später nachgeahmt wurden. Reicher Silberschmuck bedeckto
die Tafel. Die Formen waren die des bekannten Louis XIV.-Stiles. Es
gab außerdem keine Dame am Pose, die nicht neben einem aus zahlreichen
Stücken bestehenden silbernen Tafelschmuck eine Silbertoilette besessen hätte.
Man darf ja nicht vergessen, daß die Dame des ;8. Jahrhunderts während
der Toilette empfing. Sie empfing den Marquis, den Thevalier, sie empfing,
aber auch den Abbö, der ihr die neuesten Neuigkeiten des Tages brachte.
Ls füllte die Toilette die Vormittage aus, während der Abend den Soupers
gehörte. Bei beiden spielte das Silber seine Rolle.

Wenn auch die Kunst des Silbers unter der Herrschaft der Frair
von Maintenou, einer mehr von religiösen Verrichtungen, denn gesellschaft-
lichen Regungen begleiteten Herrschaft, keine besondere Anregung erhielt, so
war es in den spätere» Zeiten ein anderes. Unter der LsAsnos kam es
wie eine Auferstehung für die Kunst der Ldelschmiede. was in der letzten
Zeit der Regierung Ludwigs XIV. verschwunden war, um den oft leeren
Staatsschatz zu füllen, wurde jetzt nachgeschaffen. Madame de Pompadour,
die Dubarry wetteiferten mit Mademoiselle Deschamps, der „illnstrs VIn-M»
äs nos jonrs^, wie sie von Zeitgenossen genannt wird, in der Anwendung,
des Silbers und betrauten Meissouier, Vppeuord, Germain, Girardon (nebenbei
der Lehrer für Bildhauerei für die künstlerisch veranlagte Pompadour) und-
Andere mit Entwürfen für das Edelmetallgeräth ihrer oft wechselnden Laune.
Unter Ludwig XV. waren Laubwerk und Blumen auf den dickbauchigeir
Suppenschüsseln und Kaffeekannen Mode. Das Silbergeschirr glich damals
in der Form dem alten Ssvres oder Meißener Porzellan. Bis Marie
Antoinette war die Silberschmiedekunst im Aufblühen und als sie
erlosch, erlosch sie, weil die Frau von Geschmack nicht mehr da ist, den
Silberschmied zu inspiriren. Denn die Frauen des t?. und t8. Jahrhunderts
liebten es, den Fabrikanten und Verfertigern ihres künstlerischen Geräthes
ihre Instruktionen und Anregungen persönlich und unbeeinflußt zu ertheilen,
sie hatten überlegenen Geschmack, und wir müssen wünschen, die Zeiten,
wieder zurückkommen zu sehen, in welchen die Gesellschaft den richtigen und
feinen Geschmack besaß, den Fabrikanten und Künstler zu leiten und seine-
Modelle durch fantasievolle persönliche Anregung reicher und abwechselnder
zu machen; das ist ein in der Gegenwart oft und lebhaft empfundenen
Wunsch. Ls hat denn auch ein halbes Jahrhundert gedauert, bis die
französische Edelschmiedekunst wieder den Platz errang, den sie vorher einnahm.

Zur Zeit der RäAsnos und bis auf Marie Antoinette wurde der Stil
geschmeidiger, eleganter, er zeigte ein gewisses luisssr aller. Die Anwendung,
des Silbers wurde ungleich häufiger denn früher; die Soupers waren iw
Mode gekommen und der Speisesaal wurde der Grt der eleganten Welt.
Man soupirte im Valais ro^al beim Regenten, sn sortant äs I'Opsra.
Man soupirte in» Temple beim Prinzen de Lonti, und alle diese Empfänge,
welche die Gesellschaft sich beeilte, auch bei sich einzuführen, waren ein glück-
licher Vorwand für die Anwendung des Silbers geworden. Die französischen
Stecher haben uns eine Reihe anschaulicher Darstellungen solcher Gastmahle-
überliefert. Einige Bilder von Moreau dem Jüngeren zeigen auch Mahlzeiten
zu nur zwei Paareu. Man nannte sie Louxsrs ä la oloolistts, Kliugel-
soupers, weil bei ihnen der Diener nur auf verlangen durch die Klingel
Zutritt hatte, sonst aber während der ganzen Mahlzeit ausgeschlossen war.
Die Bedienung übernahm in solchen Fällen die Herrin des Hauses. Man
fühlte sich so von jeder Reserve befreit. Madame de Lonti war es, welche
diese Soupers eiuführte. Bei ihnen spielte das Silber keine geringere Rolle
wie bei den größeren Mahlzeiten. Auf einem Bilde des Moreau sehen wir
neben kleinerem Geräth aus Silber einen prächtigen Tafelaufsatz mit einer
figürlichen Komposition. Diese Glanzzeit des Silbers wurde durch die-
französische Revolution unterbrochen.

Der Silberschmied Auguste, der seine Anfänge unter Ludwig XVI.
nahm und sich unter dein ersten Konsul Bonaparte und unter dein Kaiser
Napoleon weiter bildete, war es sodann, der die Edelschmiedekunst und in
ihr insbesondere die Schule Davids wieder zu Ehren brachte. Statt den in
wilde Formen aufgelösten Rokoko- und Pompadourgefäßen zierten jetzt die
der Mode des Tages entsprechenden, im strengen, gegenüber den früheren
Zeiten fast asketisch gehaltenen griechischeil oder römischen Stil gearbeiteten
Tischgeschirre die vornehmeil und reichen französischen Tafeln. Auf Auguste-
solgte Bdiot in der Gunst der ersten tonangebenden Gesellschaft. Für ihn
arbeiteten Künstler wie prudhon und Moreau. Sein Haus war um das
Jahr Z800 der Sammelplatz der eleganten Welt, ein Umstand, der ein
interessantes Streiflicht auf die soziale Stellung der damaligen Künstler wirft..
Die Tischgeräthe der Kaiserinnen Josephine und Marie Louise stammten aus
Gdiot's Atelier und die Gesellschaft beeilte sich, dem aus dem Kaiserhause
gegebenen Beispiele in der Bestellung von Silbergeräthen zu folgen. Napoleon,
welcher den Luxus außerordentlich liebte, befahl sogar seinen Marschällen,
Senatoren und Präfekten die Anschaffung von Silbergeräthen. Mit Rechü
 
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