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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Braunmühl, Clementine von: Die Ausbildung der Damen für häusliche Kunst
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5eite 28.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Hebruar-kseft.

Muslnldung dev ^Mamen

für häusliche Kunst.

von E. von Braunmühl.

Wnter häuslicher Kunst verstehen wir eine zu jener im Gegensatz
stehende Kunst, welche für die Geffentlichkeit bestimmt ist, die
einen Beruf bildet. Die häusliche Kunst soll also auch kein
Erwerb sein, sondern in erster Linie ihren Urhebern Freude bereiten und ihr
Heim und das ihrer Freunde verschönern. Mir bezeichnen diese häusliche
Kunst auch mit dem Ausdruck „dilettantische Kunst, Dilettantismus".
Dilettantismus ist auch nichts Anderes, als etwas, das Freude bereitet.
Oiletto heißt: Freude. Nun hat aber das Mort Dilettantismus im gewöhn-
lichen Gebrauche eine andere Bedeutung. Mir
verstehen darunter eine der Fach- oder Berufs-
kunst gegenüber minderwerthige Kunst. Diese
Bedeutung, welche zu der allein maßgebenden
geworden ist, steht jedoch mit dem eigentlichen

die Freude, den Genuß an seinen: Schaffen, erreicht er eben so gut an dem
Studium wie an der vollendeten Arbeit. Er kann dieses Studium nach
Belieben ausdehuen und vertiefen, und je mehr er dies thut, um so mehr
hat er für sich gewonnen, nur so mehr hat seine Arbeit ethischen, kulturellen
Werth. Die Freude am Studium erhöht sich selbstverständlich durch das
Bewußtsein, nur durch jenes zu vollendeten Leistungen zu gelangen.

Diese hohe Ausübung des Dilettantismus ist allerdings nur in ver-
einzelten Fällen möglich. Mir haben deshalb zweierlei Arten von dilettan-
tischer Kunstübung zu unterscheiden — die eine, bei welcher der Dilettant
über den größten Theil seiner Zeit und seiner Geisteskraft verfügt, und die
andere, welche ihm nur zur Erholung nach den Berufspflichten dient. Daß
an letztere nicht die hohe Anforderung gestellt werden kann wie an erstere,
ist klar; aber eine eigentlich mangelhafte Leistung wird selbst den in ihr

nur Erholung suchenden Menschen auch nicht
befriedigen. — Wie verhalten sich nun diese
Anschauungen zu unserem konkreten Fall, der
Ausbildung der Damen für häusliche Kunst?
— Ein großer Theil der gebildeten Frauenwelt


Abbildung Nummer 87S. Bücherschrank mit Durchgang in gothischrm Stil. Lutw. u. ausgef. v. m. Kimbel, Breslau.

Sinn des Wortes in Widerspruch. Unsere Freude au einer Sache erhöht sich
mit dem Werth, mit der Schönheit derselben. Line tadellos aufgeblühte
Blume erfreut uns mehr als eine mißbildete. Ei.n künstlerisch gemaltes,
sprechend ähnliches Portrait mehr wie ein verzeichnetes unwahres Pfuschwerk.
Das, was wir zu unserer Freude treiben, zur Verschönerung unseres Lebens
arbeiten, sollte daher vor Allem den Stempel der Vollendung tragen. Nur
eine mangelhafte Auffassung unserer kulturellen Aufgabe kann demjenigen,
der nicht gezwungen ist, aus seiner Arbeit Kapital zu schlagen, eine geringere
Arbeitsleistung als genügend zuweisen. Der veredelnde Werth jeder Arbeit
liegt in der Arbeit selbst, nicht in deren praktischem Nutzen. Ich bin deshalb
der Ansicht, daß gerade der Mensch, dessen Lebensstellung ihm Arbeitszeit
zu freier Verfügung läßt, Dilettant im höchsten Sinne sein, d. h. durch
vollendetste Arbeitsleistung sich und seiner Umgebung die reinste Freude
bereiten soll.

Derjenige, welcher gezwungen ist, mit seiner Arbeit sein Brod zu ver-
dienen, muß in der Regel dieses verdienen so bald als möglich zu erreichen
suchen. Er wird seine Studien auf das zu diesem Zwecke knappste Maß
reduziren müssen und jede Ausbildung, welche außerdem zu seiner persönlichen
Freude dienen würde, bei Seite lassen. Welch eminenten vortheil hat da-
gegen der Dilettant, der frei über seine Zeit verfügende! Seinen Zweck,

verfügt entweder vollständig über seine Zeit, oder es gewähren selbst die
Berufspflichten vieler Damen neben freier Zeit einen Ueberschuß an Geistes-
kraft. Wie können nun in beiden Fällen diese Kraft und diese Zeit zu
häuslicher Kunst im wahren Sinne verwendet werden?

Nennen wir gleich eine häusliche Kunst, welche von den meisten Damen
betrieben wird: die Leinwaudstickerei. Es wird ein Tischläufer, eine Thee-
decke mit Serviettchen ausgezeichnet gekauft — zwischen ornamentalen Ranken
bewegen sich Kinderfiguren. Die Stickerei ist Stielstich, also eine leicht aus-
führbare Technik. Die Arbeit ist fertig, aber Gesichter und Hände sind leider
nicht gelungen. Mund und Augen stehen schief, der Gesichtsausdruck ist ein
unnatürlicher und die armen Gliedchen sind wie gebrochen oder geschwollen,
das ganze Händchen eine Mißgeburt. Kann eine solche Arbeit voll befrie-
digen? Nein, unmöglich! Sie ist auch eines gebildeten, geistig befähigten
Menschen, ich darf es wohl sagen, unwürdig. Gegebene Formen in einer
einfachen Technik, ohne künstlerisches verständniß, nnr durch immerwährende
Uebung allmählich nachsticken zu können, ist Sache einer Fabrikstickerin, und
mit einer solchen wollen sich die Damen gewiß nicht gleichstellen. Wenn
aber ihre Arbeit höher stehen soll, müssen sie die Form selbst verstehen, sie
müssen mindestens im Stande sein, sie korrekt nach einem Vorbild kopiren,
im besseren Falle sie selbst entwerfen und ebenso richtig sticken zu können;
 
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