Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 10.1899

DOI article:
Fuchs, Georg: Die Darmstädter Kolonie
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7397#0215
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Seite 164.

Illustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Innen-Dekoration.

Oktober-Heft.

DIE

ParmsIäpter Künstler-Kolonie.

Im Darmstädter Herren-Garten, im sogen. Prinz Georgs-
Palais, in idyllischer Abgeschiedenheit, befinden sich einst-
weilen die Ateliers der Künstler, welche der kunstliebende l
junge Grossherzog Ernst Ludwig hierher berufen hat, insoweit
sie inzwischen bereits übersiedelt sind. Es sind dies: Professor
Hans Christiansen, Patriz Huber, Innen-Architekt und Möbel-
Zeichner, Rudolf Bosselt, Ziseleur und Medailleur, Paul Bürck,
dessen Hauptgebiete kunstgewerbliche Zeichnungen für Buch-
Ausstattung, Stickerei und Weberei sind. Unter auszeich-
nenden Bedingungen berief der Grossherzog ferner noch
Peter Behrens, bisher in München, einen glänzend begabten
Künstler sowohl als Maler wie als Dekorateur, dessen Schaffen
in allen kunstliebenden Kreisen so allgemein bekannt und
geschätzt ist, dass es keiner Schilderung mehr bedarf, ferner
Ludwig Habich, einen geborenen Darmstädter, bisher eben-
falls in München. Habich besitzt bereits die »kleine Goldene«
vom Münchener Glaspalast. Er hat sich auf dem Gebiete
der Klein-Bronzen, ausgeführt in den Vereinigten Werkstätten
zu München, und neuerdings auch in der monumentalen
Skulptur trefflich bewährt, so dass man mit Zuversicht auf
eine glückliche Lösung der grossen Aufgaben hoffen darf,
welche ihm vom Grossherzog übertragen wurden. Zu ihnen
gesellt sich als Baumeister Josef M. Olbrich, bekannt durch
das von ihm errichtete Haus der Sezession und manches
andere frisch erfundene Gebäude in Wien. Ihm wird es zu-
fallen, die Werkstätten, Atelier-Gebäude, Ausstellungsräume etc.
zu errichten, welche der hohe Beschützer dieser merkwürdigen
Gemeinde seinen Künstlern zur Verfügung zu stellen gedenkt.
Eigenartig und durchaus persönlich, wie die ganze Kolonie
in ihrer Anlage und nach der Absicht ihres Begründers ist,
so wird sie sich auch ausdrücken in ihrer Niederlassung an
Ort und Stelle, zwischen alten Bäumen versteckt und von
grünen Rasen und blumenreichen Anlagen durchzogen, ein
stilles, fröhliches, phantastisches Dörfchen, wie es nur in dem
Kopfe eines Olbrich entstehen und nur von einem so durch
und durch modern und ästhetisch empfindenden Fürsten
gutgeheissen werden konnte.

Es ist begreiflich, dass das Vorgehen des Grossherzogs
von Hessen in den Künstlerkreisen Deutschlands und auch
des Auslandes einiges Aufsehen hervorrief. Es ist viel darüber
geschrieben worden und darunter auch sehr viel Irrthümliches.
Vor allem wurde oft übersehen, dass der Grossherzog mit
seiner Gründung ganz bestimmte persönliche Absichten ver-
folgt, die weit abliegen von dem, was man etwa als eine
Umwandlung Darmstadts in eine »Kunststadt« ä la München
und Karlsruhe oder gar als eine »Akademie«, als eine Schule
auffassen könnte. Unter diesem Gesichtspunkt des persön-
lichen Bedürfnisses und der eigensten Absichten des hohen
Herrn ist auch die Wahl der Künstler zu sehen. In ihr soll
sich keine Rangordnung oder dergleichen zu erkennen geben.
Der Grossherzog berief aus der Reihe der ihm bekannt
gewordenen Vertreter der neuzeitlichen Gewerbekünstler nach
sorgfältigem persönlichem Studium Diejenigen, welche er
brauchte für grosse viel umfassende wie für eng begrenzte,
ganz spezielle Zwecke; bedeutende, ausgereifte Persönlich-
keiten und junge aussichtsvolle Talente, Männer von tiefer,
eigener Veranlagung und geschickte, anpassungsfähige Leute
von Geschmack und Phantasie. Danach allein sind die Be-
rufungen zu beurtheilen, nicht nach den Grundsätzen, die
etwa bei Begründung einer Akademie oder Kunstgewerbe-
schule mit mehr oder minder üblem Erfolge eingehalten zu

werden pflegen. Weder die Staatsregierung noch irgend
eine »Behörde« wurde mit dieser Angelegenheit befasst.

Man möchte fast sagen, dass das alte Prinzip des fürst-
lichen Mäcenatenthums, des Grand-Seigneurs, der sich mit
Meistern der dekorativen Künste umgibt, um in seinen
Schlössern, Gemächern, Gärten, Geräthen, Medaillen und
Preziosen ein ihn für alle Zeiten schön und bedeutsam karak-
terisirendes Stilelement zu hinterlassen, hier wieder aufgelebt
sei; und zwar, und das muss sehr hervorgehoben werden, in
durchaus ernster und belebender Umdeutung in die modernen
Verhältnisse und Kunstempfindungen!

Die Absicht, in die Entwickelung der modernen Gewerbe-
künste einzugreifen und zu diesem Zwecke einen Kreis her-
vorragender Künstler und junger, vielversprechender Talente
um sich zu versammeln, bestand bei dem Grossherzog schon
längere Zeit. Dieser Absicht durch die That zu entsprechen,
dazu wurde der hohe Herr keineswegs erst durch die Neu-
einrichtungen von Ashbee und Scott im Neuen Palais und
im Residenzschlosse veranlasst. Der Grossherzog verfolgte
vielmehr die aufblühende Gewerbekunst Deutschlands seit
ihren Anfängen mit wärmster Theilnahme, was schon darin
seinen Ausdruck findet, dass u. a. auch Prof. Otto Eckmann
von ihm zur Ausstattung seines Arbeitszimmers herangezogen
worden war. Entscheidend für die nunmehr erfolgten Mass-
nahmen war sodann die Erste Darmstädter Kunstausstellung
von 1898, auf welcher in einer von Alexander Koch geleiteten
kunstgewerblichen Abtheilung ein Ueberblick über den Stand
der Entwickelung der modernen angewandten Kunst gegeben
war. Im Anschluss an diese Ausstellung überreichte Herr
Alexander Koch an massgebender Stelle eine Denkschrift, in
welcher die Bedeutung der modernen Gewerbekunst nach
allen Seiten dargelegt und Anregungen gegeben wurden für
eine gewisse Zentralisirung derselben in Darmstadt. Bald
darauf erfolgten denn auch die ersten Berufungen und zwar
ebenfalls nach Vorschlägen des Herrn Alexander Koch.

Allein die Thätigkeit dieser Künstler soll auch dazu
führen, das hessische Kunstgewerbe mit frischem Geiste und
neuen Ideen zu erfüllen. Es soll das angestrebt werden, was
bisher trotz des kräftigsten Einsetzens der neuen Bewegung
fast überall ausblieb; dass der Geschmack der Künstler und
das moderne Formgefühl im Gewerbe zum Ausdruck komme,
sich recht »einbürgere«. In dieser Richtung eröffnet sich
den führenden Künstlern der Kolonie ein weites und höchst
dankbares Feld für ihre Thätigkeit, wie es bisher keinem in
neuerer Zeit beschieden war. Und diese Wirksamkeit der
Darmstädter Künstler-Kolonie wird sich auch in weiteren
Kreisen Geltung verschaffen können und vielleicht bahn-
brechend sein für den Einzug des guten Geschmackes in das
deutsche Gewerbe. Wie verlautet, soll bereits auf der Pariser
Welt-Ausstellung von 1900 Gelegenheit gegeben werden,
die bis dahin erzielten Resultate der Künstler-Kolonie kennen
zu lernen. Ferner besteht die Absicht, im Jahre 1901 in
Darmstadt selber eine hessische Kunstgewerbe-Ausstellung
zu eröffnen, und zwar in ganz eigenartigen Formen. Jeden-
falls lässt es sich auch heute schon nicht von der Hand weisen,
dass der Grossherzog mit seiner Künstler-Kolonie durchaus
ernste und gerade für die gegenwärtige Entwickelung der
Kunst höchst wichtige Probleme zu lösen trachtet.

Wie es bei solchen Anlässen zu gehen pflegt, hat sich
auch hier die Legendenbildung in manchmal recht komischer
Weise thätig erwiesen. Es sei deshalb wiederholt ausdrücklich
hervorgehoben, dass es dem Grossherzoge in allererster Linie
auf eine künstlerische Neubelebung des heimischen Gewerbes
durch phantasievolle, echte und thatkräftige Künstler ankommt.

(m. n. n.) Georg Fuchs—Darmstadt.
 
Annotationen