lichen natürlichen Waschung. Leider, auf jenem schwanken Brett stehen jetzt
die meisten Menschen, namentlich die Weiber: Sie sind nicht Christen, aber
sie nehmens übel, wenn man ihnen sagt, daß sie es nicht sind. Diese Be-
griffsverwirrung hat jene Sekte mit ihrem ausgehöhlten Kirchentum ge-
nährt, den Sieg der filosofischen Lehre über die Kirche im höchsten Grade
aufgehalten, die grassirende Charakterschwäche begünstigt und so wesent-
lich dazu mitgewirkt, daß die Märzrevolution so wichtig aussah und so
feige endete.
Statt auf diese schillernden Seifenblasen wandte ich also meine Ge-
danken auf eine Anstellung in der filosofischen Fakultät. Zu diesem Zwecke
mußte ich vor allem ein Werk schreiben, das als Beweis meiner Fähigkeit
für einen filosofischen Katheder gelten konnte. Jenes Jahre lang vorbereitete
Buch über die Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit war in der For-
schung immer noch nicht so weit gediehen, daß ich auf einen raschen Ab-
schluß hoffen durfte; auch lag es der neuen Richtung meiner Studien auf
die moderne Welt etwas fern. Ich beschloß also, eine Geschichte der bilden-
den Künste seit der Stiftung des Christentums?^ zu schreiben und zunächst
in einem ersten Bande die zehn Jahrhunderte abzuhandeln, während deren
die kirchlichen Künstler noch nach antiken Mustern arbeiteten. Diese Partie
war teils durch eigenes Sehen und Nachdenken schon in Rom mir ziemlich
klar geworden, teils hatten die wiederholten Vorlesungen über kirchliche
Altertümer und zuletzt über christliche Kunst mir darin einige Stärke ge-
geben: Auch würde ich diese erste Lieferung sehr rasch vollendet haben, wenn
ich nur alle Kraft auf sie verwenden konnte. Aber wir mußten auch essen,
und zu essen hatten wir nichts, wenn nicht Johanna außer ihrer Sorge
fürs Kind und die Haushaltung noch Musikstunden gab und ich neben
Amt und Schriftstellerei auch noch Geld verdiente. Es scheint doch wahr-
haftig billig, daß die Hauptarbeit unseres täglichen Lebens uns auch das
tägliche Brot gebe: Diesen Vorteil genießt auch der geringste Handarbeiter,
der unterste Staatsbeamte. Mir aber ging die beste Arbeitskraft für die
Studenten hin, denn ob ich drei oder hundert Zuhörer hatte, das Kolleg
mußte das eine Mal so gut wie das andere Mal sorgsam vorbereitet und
gehalten werden. Was sonst noch von der Tageszeit blieb, das konnte ich
freilich auf ein gelehrtes Buch wenden: Aber Brot hatte ich weder von
jenem noch von diesem, und fürs Brot mußte nun noch außer jenen Ar-
beiten gesorgt werden, so daß die Nächte den Tag ergänzten. Das ist
schrecklich: Aber ich war noch jung und hoffte endlich Luft. Vierzehn Ar-
162
die meisten Menschen, namentlich die Weiber: Sie sind nicht Christen, aber
sie nehmens übel, wenn man ihnen sagt, daß sie es nicht sind. Diese Be-
griffsverwirrung hat jene Sekte mit ihrem ausgehöhlten Kirchentum ge-
nährt, den Sieg der filosofischen Lehre über die Kirche im höchsten Grade
aufgehalten, die grassirende Charakterschwäche begünstigt und so wesent-
lich dazu mitgewirkt, daß die Märzrevolution so wichtig aussah und so
feige endete.
Statt auf diese schillernden Seifenblasen wandte ich also meine Ge-
danken auf eine Anstellung in der filosofischen Fakultät. Zu diesem Zwecke
mußte ich vor allem ein Werk schreiben, das als Beweis meiner Fähigkeit
für einen filosofischen Katheder gelten konnte. Jenes Jahre lang vorbereitete
Buch über die Kulturgeschichte der römischen Kaiserzeit war in der For-
schung immer noch nicht so weit gediehen, daß ich auf einen raschen Ab-
schluß hoffen durfte; auch lag es der neuen Richtung meiner Studien auf
die moderne Welt etwas fern. Ich beschloß also, eine Geschichte der bilden-
den Künste seit der Stiftung des Christentums?^ zu schreiben und zunächst
in einem ersten Bande die zehn Jahrhunderte abzuhandeln, während deren
die kirchlichen Künstler noch nach antiken Mustern arbeiteten. Diese Partie
war teils durch eigenes Sehen und Nachdenken schon in Rom mir ziemlich
klar geworden, teils hatten die wiederholten Vorlesungen über kirchliche
Altertümer und zuletzt über christliche Kunst mir darin einige Stärke ge-
geben: Auch würde ich diese erste Lieferung sehr rasch vollendet haben, wenn
ich nur alle Kraft auf sie verwenden konnte. Aber wir mußten auch essen,
und zu essen hatten wir nichts, wenn nicht Johanna außer ihrer Sorge
fürs Kind und die Haushaltung noch Musikstunden gab und ich neben
Amt und Schriftstellerei auch noch Geld verdiente. Es scheint doch wahr-
haftig billig, daß die Hauptarbeit unseres täglichen Lebens uns auch das
tägliche Brot gebe: Diesen Vorteil genießt auch der geringste Handarbeiter,
der unterste Staatsbeamte. Mir aber ging die beste Arbeitskraft für die
Studenten hin, denn ob ich drei oder hundert Zuhörer hatte, das Kolleg
mußte das eine Mal so gut wie das andere Mal sorgsam vorbereitet und
gehalten werden. Was sonst noch von der Tageszeit blieb, das konnte ich
freilich auf ein gelehrtes Buch wenden: Aber Brot hatte ich weder von
jenem noch von diesem, und fürs Brot mußte nun noch außer jenen Ar-
beiten gesorgt werden, so daß die Nächte den Tag ergänzten. Das ist
schrecklich: Aber ich war noch jung und hoffte endlich Luft. Vierzehn Ar-
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