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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0202
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Der Comte de Caylus und sein »Prix d'expression«

denschaft, ablenken könnten. Einem historischen oder mythologischen Stoff ent-
nommene Zutaten, wie zum Beispiel einen griechischen Helm oder eine Weinranke,
akzeptierte Caylus hingegen. Im übrigen sollte das Modell in normaler Kleidung vor
den Schülern sitzen. Aufgabe des Professors wäre es, eine Leidenschaft in Ansehung
der Person des Modells und dessen Charakter auszuwählen und mit diesem einzu-
studieren, damit es die vorgesehene Empfindung richtig zum Ausdruck bringen
könnte. Zu Beginn der Wettbewerbsveranstaltung sollte er an Hand des Modells die
einzelnen Züge eines Affektes erklären, diese in Verbindung zum caractère stellen, die
Spuren beschreiben, die die häufige Wiederkehr einer Leidenschaft auf einem
Gesicht hinterließen, und erläutern, wie diese gemeinsam mit anderen Zügen die
Physiognomie eines Menschen prägten. Zudem hätte er den als Aufgabe gestellten
Affekt in ein Thema einzubinden - ein der Historie oder der Mythologie entnomme-
nes Ereignis -, so daß der Schüler ihn sich in einem inhaltlichen Zusammenhang
vorstellen könnte. Die Beiträge sollten den Kopf wenigstens lebensgroß wiederge-
ben. Den Preis dotierte Caylus mit 100 Francs, weitere 100 Francs waren zu gleichen
Teilen vorgesehen für die Bezahlung des Modells und zur Erstattung der Auslagen
des Professors. Der Amateur regte an, diesen Wettbewerb, den er zu stiften sich erbot,
erst einmal probeweise in diesem Jahr zu veranstalten. Abschließend bat er die Aka-
demiker, über seinen Vorschlag abzustimmen.
Diese nahmen auf ihrer nächsten Versammlung am 27. Oktober 1759 das Angebot
von Caylus an und beschlossen, einen Versuch zu unternehmen. Wiederum eine Sit-
zung später wurde Michel-François Dandré-Bardon als der Professor bestimmt, der
den Concours betreuen sollte. Außerdem legte man fest, wer an dem Wettbewerb
teilnehmen durfte: die Söhne der Akademiker, die ersten und zweiten Gewinner des
»Grand Prix« und die Preisträger der Vierteljahresmedaillen. Am 1. Dezember hielt
Dandré-Bardon einen Vortrag zu dem Concours und seinem Gegenstand, vertrat
dabei aber eine zum Teil von Caylus' Ansichten abweichende Position. Der Probe-
laufwurde für den 17. und 18. Dezember, jeweils von 10 bis 13 Uhr, anberaumt. Das
von Dandré-Bardon gestellte Thema war »L'admiration mêlée de joie«. Die Beiträge
entsprachen jedoch so wenig den Erwartungen, daß der Preis nicht vergeben wurde.
Dieser gescheiterte Versuch hatte jedoch nicht zur Folge, daß das gesamte Projekt fal-
lengelassen wurde. Im Gegenteil: Auf der ersten Sitzung des neuen Jahres am
5.Januar 1760 bildete man ein Komitee, das die Modalitäten für den »Prix« und seine
Stiftung regeln sollte. Dieses tagte am 19. des Monats und legte auf der turnusmäßi-
gen Versammlung vom 9. Februar eine Satzung und ein Reglement für die Veranstal-
tung des Wettbewerbes vor, die noch am selben Tage verabschiedet wurden. In der
Satzung, den »Articles« (Anhang III), sind die allgemeinen Bestimmungen zu dem
»Prix« festgelegt, zur Auswahl des Modells, zum Zeitpunkt der Veranstaltung, zur
Bestimmung der Preisträger etc. Das Reglement (Anhang IV) umfaßt die Anweisun-
gen zur Durchführung des Wettbewerbes selbst. Satzung und Reglement entspre-
chen im wesentlichen den Vorstellungen von Caylus, wie er sie in seiner Conférence
 
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