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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0199
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Der Comte de Caylus und sein »Prix d'expression«

195

denten weiterleitete, die Caylus einzig am Ende seiner Überlegungen kurz erwähnt
hatte. Er bezog sie jedoch nicht auf sich und seine Kollegen an der Académie, die
nach heutigem Verständnis die eigentlichen Adressaten der Kritik von Caylus waren.
Ob man dies nicht erkannte oder nicht erkennen wollte, soll dahingestellt bleiben.
Dem Bereich der expression des passions, den der Amateur bereits mehrfach in sei-
nen Abhandlungen berührt hatte, widmete er bald größere Aufmerksamkeit. Am
6. Oktober 1753 hielt er in der Académie einen Vortrag über »L'étude des têtes«. Laut
der Eintragung in den Sitzungsprotokollen unterbreitete er den Akademikern darin
unter anderem den Vorschlag, den vierteljährlich veranstalteten »Prix de quartier« zu
verbinden mit der Aufgabe,
»... à exécuter, indépendamment de leurs desseins et modèles, une tête particulière, où
ils [die Studenten] tacheroient de rendre une expression, ce qui les formeroit par degrés
à cette belle partie de la peinture et de la sculpture qui est la connoissance de l'effet des
passions.«
(... unabhängig von ihren Zeichnungen und Modellen einen speziellen Kopf darzu-
stellen, bei dem die Studenten sich bemühen würden, einen Ausdruck wiederzugeben.
Dies würde sie allmählich in diesem schönen Bereich von Malerei und Skulptur ausbil-
den: der Kenntnis der Wirkung der Leidenschaften.)320
Die Versammlung begrüßte die Anregung und wollte sie aufgreifen. Die Bemü-
hungen verliefen jedoch offensichtlich im Sande. So unternahm Caylus 1759 einen
erneuten Vorstoß. Am 6. Oktober dieses Jahres sprach er abermals über »L'étude des
têtes«. Er regte wiederum die Veranstaltung eines Wettbewerbes an, den er dieses Mal
selbst finanzieren wollte, wahrscheinlich da die Académie von sich aus keine Aktivi-
täten entwickelte. Der Wortlaut dieses Vortrages ist bekannt. Das Manuskript befin-
det sich in der Bibliothek der Ecole des Beaux-Arts. Der Text der Abhandlung von
1753 ist hingegen nicht mehr zu ermitteln. Er wird sich jedoch nicht wesentlich von
demjenigen aus dem Jahr 1759 unterschieden haben. Vielleicht handelte es sich bei
dem Referat von 1759 lediglich um eine leicht veränderte und dem neuen Projekt
angepaßte Version der Überlegungen von 1753. Sicherlich wird Caylus in weiten Tei-
len auf diesen Vortrag zurückgegriffen haben, wofür auch die Identität der Titel
spricht. In der Ecole des Beaux-Arts wird noch ein weiteres Manuskript von Caylus
aufbewahrt, das im Zusammenhang mit dem Thema steht. Es trägt den Titel »Les
passions en peinture« (Anhang I). Auch wenn die Abhandlung darin als Conférence
bezeichnet wird, so muß doch bezweifelt werden, daß wir es hier mit der ausgearbei-
teten Fassung eines Vortrages zu tun haben. Der Stil der Studie, die mit seitlichen
Anmerkungen versehen und in einer zum Teil unleserlichen Schrift abgefaßt ist, deu-
tet eher darauf hin, daß es sich um einen Entwurf für eine Conférence gehandelt
haben könnte, die dann in dieser Form nicht gehalten wurde. Zumindest findet sich

320 Procès-verbaux, op. cit. (Anm. 7), Bd. 6, S. 366.
 
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