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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0200

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Der Comte de Caylus und sein »Prix d'expression«

in den Sitzungsprotokollen kein Hinweis. Es ist nicht auszuschließen, daß dieses
Konzept im Vorfeld zu dem Referat von 1753 entstanden ist. Die naheliegende
Annahme, es handele sich bei dem Text um den Vortrag von 1753, findet sich nicht
bestätigt, da die uns durch die Sitzungsprotokolle überlieferten Informationen nicht
mit den darin formulierten Darlegungen übereinstimmen.
Caylus begann die Abhandlung mit einer Kritik an den Ausführungen von
Antoine Coypel zu den Leidenschaften und ihrer Darstellung. Würden die Künstler
dessen Vorstellungen folgen, so erschienen ihre Figuren gestellt, lediglich deklamie-
rend, unnatürlich.Caylus war sich zwar auch darüber im klaren, daß die Affekte nicht
genau in der Form wiedergegeben werden könnten, wie sie in der Natur auftreten;
dies machten die dem Medium Malerei eigenen Grenzen unmöglich, bedingt allein
schon durch den Verzicht auf Sprache, die in der Wirklichkeit ein wesentliches Aus-
drucksmittel sei; da sich aber die rein visuellen Erscheinungsbilder von Leidenschaf-
ten häufig ähnelten, gelte es, die Darstellungen der einzelnen Emotionen eindeutig
kenntlich zu machen. Zu diesem Zweck müsse eine Art Bildsprache entwickelt wer-
den, die den Betrachter in die Lage versetze, die künstlerische Wiedergabe einer
Empfindung zu identifizieren und die Abkürzungen dieser Sprache aufzulösen, das
heißt gedanklich zu einem umfassenden Erscheinungsbild der Leidenschaft zu
ergänzen. Die Schwierigkeit sei, bei diesen Bemühungen nicht in die Darstellung
von Grimassen zu verfallen, was Caylus wohl - ohne es auszusprechen - Antoine
Coypel vorwarf.
Als Beleg für die Notwendigkeit einer solchen Bild- oder Zeichensprache führte er
einige Affekte an, die in der Natur unterschieden seien, sich in der Malerei jedoch
sehr ähnlich sähen. Als eine Möglichkeit ihrer genaueren Charakterisierung in der
Kunst empfahl er die Heranziehung von nicht weiter beschriebenen »accessoires«.
Caylus wies also darauf hin, daß eine direkte, >photographische< Wiedergabe von
Leidenschaften nicht genügen könne. Es sei die Aufgabe des Malers, die Sprache der
Natur in eine Sprache der Kunst zu übersetzen. Diese Einsicht war im Prinzip nicht
neu. Bereits Antoine Coypel war zu demselben Ergebnis gekommen und hatte aus
diesem Grund seine charakteristische Darstellungsweise entwickelt, die dem
Betrachter durchaus verständlich war. Die Kritik an dem Künstler, mit der Caylus
seine Überlegungen einleitete, zeigt, daß der Amateur sich dessen bewußt war.
Jedoch hatte sich Coypel bei seiner Bildsprache von der Natur entfernt. Caylus hin-
gegen bestand auf einer engen Bindung an die Natur. Dies machte die Lösung des
Problems in seinem Sinne so schwierig.
Welche praktischen Möglichkeiten gibt es nun für den Künstler, hier zufrieden-
stellende Ergebnisse zu erlangen?
»Le jeune peintre doit donc mediter les passions c'est-à- dire, réfléchir sur leurs causes et
sur leurs effets, pour être en état d observer leur developement, leur cours et leur
décours pour saisir quelques uns des mouvemens qui dominent dans les instans des
affections de la nature.«
 
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