Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0141

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
V. Die Vorbildlichkeit des Theaters:
Charles-Antoine Coypel und Antoine Watteau
Im folgenden soll das Werk zweier Künstler besprochen werden, die eine besondere
Beziehung zum Theater halten: Charles-Antoine Coypel und Antoine Watteau.
Damit wird nicht behauptet, daß diese beiden Maler repräsentativ seien für die Kunst
der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts oder etwa schulbildend. Sie beschritten jedoch
zwei Wege, die gerade in ihrer Ausgeprägtheit für die Zeit aufschlußreich sind. Auf
weitere künstlerische Lösungen, die nicht in diesen Erklärungszusammenhang (der
Vorbildlichkeit des Theaters) gehören, wird im nächsten Kapitel eingegangen wer-
den.Auch wenn dies der Chronologie widerspricht, so soll Charles-Antoine Coypel
und sein Werk zuerst betrachtet werden, da er sich, nicht nur durch die künstlerische
Verbundenheit mit seinem Vater, stärker an die bisherige Kunst anschloß und eine
Kontinuität wahrte. Mit den Werken des älteren Antoine Watteau vollzog sich indes
ein einschneidender Wandel. Watteau brach zwar nicht aus der historischen Entwick-
lung der Kunst aus, setzte jedoch deutlich neue Akzente, die es nicht mehr erlauben,
seine Bilder ausschließlich mit den bis dahin gültigen Kriterien zu beurteilen.
»11 alla chercher des modèles d'attitude et d'expression sur le théâtre, et il n'y trouva,
même dans le jeu des meilleurs acteurs, que des grimaces, des attitudes forcées, des traits
d'expression arrangés avec art, et où les sentiments de l'âme n'ont jamais aucune part. Il
en arriva que notre peintre ne put jamais mettre de naïveté ni de naturel dans ses
tableaux, et le malheur vouloit qu'ils en eussent plus besoin que ceux des autres pein-
tres; car comme il ne manquoit ni d'esprit ni d'imagination, il ne choisissoit guère que
des sujets chargés d'expressions.«
(Er suchte die Vorbilder für Haltung und Ausdruck im Theater, und er fand dort - selbst
im Spiel der besten Schauspieler - nur Grimassen, erkünstelte Haltungen, kunstfertig
arrangierte Züge des mimischen Ausdruckes, an denen die Empfindungen der Seele
niemals irgendeinen Anteil haben. Unser Maler konnte niemals Natürlichkeit noch
Ungezwungenheit in seine Gemälde einbringen, und das Unglück wollte es, daß seine
Bilder davon mehr bedurften als die der anderen Maler; denn da es ihm weder an Geist
noch an Ernsthaftigkeit fehlte, wählte er nahezu nur ausdrucksbeladene Themen.)223
So charakterisierte Mariette die Arbeitsweise und die Kunst des Charles-Antoine
Coypel (1694-1752). Und in der Tat besaß das Theater für diesen eine noch größere
Bedeutung als für seinen Vater und Lehrer Antoine. Nicht nur, daß es in der Malerei
des jungen Coypel wesentlich stärkere Spuren hinterließ, er verfaßte auch selbst
einige Bühnenstücke.
Coypel war 1715 bereits im Alter von 21 Jahren in die Académie aufgenommen
worden. 1747 wurde er zu ihrem Direktor gewählt, nachdem er im selben Jahr zum

223 Mariette, op.cit. (Anm. 195), Bd. 2, S. 31.
 
Annotationen