Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0077

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Exkurs: Die Bezwingung der Leidenschaften in höfischem Leben,
Politik und Wirtschaft
Im folgenden soll kurz auf zwei Bereiche eingegangen werden, in denen die Leiden-
schaften und noch mehr ihre Überwindung eine wesentliche Rolle spielten. Es sind
dies das Leben am Hofe Ludwigs XIV. in Versailles und das theoretische Fundament
der Politik und Ökonomie dieser Zeit. Damit ist nun nicht beabsichtigt, kausale Ket-
ten zu konstruieren, vielmehr soll auf Hintergründe, parallele Entwicklungen und -
so vorhanden - auf Abhängigkeiten verwiesen werden, in der Hoffnung damit einige
Details des eingangs erwähnten Beziehungsgeflechtes zu skizzieren, selbst wenn sie
nur recht locker mit dem eigentlichen Gegenstand der vorliegenden Untersuchung -
der expression des passions - verbunden sein sollten.
Der Werdegang des französischen Adligen läßt sich beschreiben als eine Entwick-
lung vom freien Ritter als Repräsentanten des mittelalterlichen Feudalsystems zum
>domestizierten< Höfling am absolutistischen Hofe eines Ludwigs XIV., der in ein
fein ausbalanciertes, differenziertes System eingepaßt war und die Freiheiten, die
seine Vorfahren noch besaßen, eingebüßt hat140. Zwar war auch der mittelalterliche
Ritter seinem König verbunden und verpflichtet, ihm bestimmte Dienste zu leisten,
er behielt dabei jedoch eine relative Unabhängigkeit. Darin sah er sich nicht einge-
schränkt durch königliche Vorschriften. Auch war seine Position so weit abgesichert,
daß er sich im zwischenmenschlichen und gesellschaftlichen Bereich nicht irgend-
welchen, ihm diktierten Normen anpassen mußte. Dies bedeutete, daß die Leiden-
schaften von ihm spontan und nicht durch etwaige innere oder äußere Zwänge
behindert ausgelebt werden konnten - mit anderen Worten, die Affektkontrolle war
relativ gering. Bekannteste Form dieser vergleichsweise spontanen, wenig reglemen-
tierten Affektäußerung war die des Duellierens. Dem entsprach auch, daß in einer
Auseinandersetzung der Stärkere häufig seinen Gegner auf brutalste Art und Weise
quälte und so seiner Leidenschaft, zum Beispiel Wut oder Haß, ungezwungen folgte.
Der Übergang von einer agrarisch organisierten zu einer merkantilistischen Wirt-
schaftsform hatte den allmählichen Niedergang des Adels zur Folge. Dieser sah sich
mehr und mehr seiner ökonomischen Grundlagen beraubt, weigerte sich aber, seiner
Existenz eine neue materielle Basis zu verschaffen, etwa durch eine berufliche
Beschäftigung innerhalb des neuen wirtschaftlichen Rahmens. Trotzdem beharrte er

140 Die sich anschließenden Überlegungen folgen über weite Strecken den Ausführungen von Nor-
bert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der
höfischen Aristokratie. Mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, (Frankfurt
am Main) 1983. Vgl. auch Rudolf zur Lippe, Naturbeherrschung am Menschen II. Geometrisie-
rung des Menschen und Repräsentation des Privaten im französischen Absolutismus, Frankfurt
am Main 21981, und zuletzt Jean-Jacques Courtine und Claudine Haroche, Histoire du visage.
Exprimer et taire ses émotions. XVIe - débuts XIXe siècle, Paris/Marseille 1988.
 
Annotationen