Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0194

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
VII. Der Comte de Caylus und sein »Prix d'expression«

Die prominenteste Maßnahme zur Anhebung des Niveaus im Bereich der expression
des passions wurde von dem Comte de Caylus initiiert. Es war der von ihm an der
Académie gestiftete »Prix d'expression«. Anne-Claude-Philippe de Tubières, Comte
de Caylus (1692-1765) betätigte sich als Archäologe, Sammler von antiken und
besonders ägyptischen Artefakten, Kunstkritiker und -theoretiker, Mäzen, Schrift-
steller und dilettierender Radierer311. Er war der Sohn einer Nichte der Madame de
Maintenon. Nach einer militärischen Laufbahn unternahm er ausgedehnte Bil-
dungsreisen, die ihn unter anderem nach Italien, Griechenland, Kleinasien und in
die Türkei führten. Caylus wurde 1742 zum Mitglied der Académie des Inscriptions
et Belles-Lettres ernannt. Bereits im Jahre 1731 war er als Amateur-Honoraire in die
Pariser Kunstakademie aufgenommen worden. Von dieser zog er sich aber bald
zurück, da er sich nicht genügend beachtet fühlte. Zu einem Vortrag, den er 1732 im
Rahmen der Conférences über »Les dessins« gehalten hatte, waren nur wenige Zuhö-
rer gekommen, und selbst zu der wegen der geringen Teilnahme anberaumten Wie-
derholung einen Monat später erschienen lediglich zwei Künstler mehr. Caylus hat
der Académie jedoch nie völlig den Rücken gekehrt. Sporadisch tauchte er immer
wieder in ihren Versammlungen auf. Seine Aktivitäten in der Institution waren
jedoch gleich null. Dies änderte sich erst im Jahre 1747, als Charles-Antoine Coypel
am 27. Mai (nachdem er zum Premier Peintre ernannt worden war und noch vor sei-
ner Wahl zum Direktor) der Académie 223 Radierungen von dem anwesenden Cay-
lus nach Zeichnungen aus dem Besitz des Königs schenkte312. Damit war der Ama-
teur wieder eingeführt. Auf der nächsten Versammlung am 3.Juni ließ Caylus vom
Sekretär der Académie einen Vortrag mit dem Titel »Réflexions sur la peinture« ver-
lesen.
Es ist sehr wahrscheinlich, daß Coypel den Amateur an die Académie zurückge-
holt hat, um mit ihm gemeinsam sein Reformprogramm zu verwirklichen. Caylus
wurde nun auf jeden Fall sein engster Mitstreiter, auch wenn die Ansichten der bei-
den - wie noch zu zeigen sein wird - in einer Reihe von Punkten voneinander abwi-
chen und ihre Freundschaft nach Auskunft von Mariette zu diesem Zeitpunkt
bereits etwas abgekühlt war. Der Amateur entfaltete von nun an bis zu seinem Tod
eine Aktivität, die zumindest ungewöhnlich, wenn nicht sogar einzigartig in der

311 Die umfassendste Studie zu Caylus bleibt immer noch das Werk von Samuel Rocheblave, Essai
sur le comte de Caylus. L'homme-l'artiste-l'antiquaire, Paris 1889. Es hat sich dort jedoch eine
Reihe von Fehlern eingeschlichen, auch sind dem Autor einige Fehleinschätzungen unterlaufen,
die zum Teil daher rühren, daß er der Versuchung einer Glorifizierung des Amateurs erlegen ist.
Eine umfangreiche Untersuchung, die den Ergebnissen der neueren Forschung gerecht wird, steht
noch aus.

312 Procès-verbaux, op. cit. (Anm. 7), Bd. 6, S. 55.
 
Annotationen