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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0467
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lyrischer Schauer, als Faust in sein Studierzimmer
■zurückkehrt, wie er in den beiden Versen:
}'erlassen haV ich Feld und Auen,
die eine tiefe Nacht bedeckt . . .
allein nicht begründet ist. Das kaltdunkle, harte Abend-
grau eines eben verblassten Märztages, das die von
der Sonne Tags schon vergoldet gewesene Landschaft
leise in den Winter zurückgleiten l'dsst, das die Wärme
in Wiesen feuchte und Nebelkälte ertränkt und die Seele
des Menschen unselig zwiespältig macht, hatte ich eben
heimkehrend durchschritten. Hundert Erinnerungen
flössen in diesen Eindruck zusammen. Es war nicht
das Wort, es war das nachdämmernde, in seiner lang-
samen J erdunklung ganz in mich getretene, wunder-
volle Bild des Osterspaziergangs, das die Gefühle rief
und das Wort leuchten Hess.

DIREKTOR: Und damit ist doch wirklich ein
Höchstes erreicht: der innere Sinn einer Szene er-
scheint, unter I 'erzieht auf alle der Wirklichkeit ge-
gebenen Mannigfaltigkeiten, in ein ganz die Sache
selbst spiegelndes Bild gefasst. Und wäre dieses Bild
nur eine Himmclswand, auf der „das Abendrot im
ernsten Sinne glüht".

DICHTER: Ich bewundere, mit welch sicherem
Gefühl der Maler im Mass der Stilisierung den ganz
lyrischen Osterspaziergang von dramatischen Szenen
getrennt hat. Hier war ein bewegter, vorüberschreiten-
der, figurenreicher Fries, in lichten Farben, ein dar-
stellender Reigen, streng stilisiert; ohne unmittelbare
Wirklichkeitsillusionen erweckte er mit seinem Rhyth-
mus die über dem Leben schwebenden, alle Wirklich-
keit gelöst in sich tragenden, lyrischen Gefühle. Wie
anders im dramatischen Moment, in dem herrlichen
Dominnern, in der nächtlichen Strasse! Da war Alles,
den Willen unmittelbar weckende Wirklichkeit. Ich
war nicht ohne die Sorge hingegangen, ein Künstliches
zu finden. Aber dies war der Eindruck: von der ganz-
einfachen Behandlung des Bildes, die alle Masse von
darstellenden Menschen nahm, ging geradezu eine un-
endlich viel stärkere Wirklichkeitsillusion aus, als von
der alten Bühne. Dieser Fuss des Hauses, das nur bis
zur ersten Geschosshöhe sichtbar war, an dem J 'alentin
hinsank. Diese Schattenreihe der nackten tanzenden
Hexen vor dem roten Dämmerhimmel der Walpurgis-
nacht. So Wirkliches sah ich bisher in keinem 'Theater.
DIREKTOR: Nicht in allem stimme ich bei. Als
ich die Erzengel mit Hügeln aus Erz den Hymnus
beginnen sah, meldete sich die gegen ähnliche Einfälle
des Uebermalers Frier nicht selten in mir aufsteigende
Abwehr, und ich fürchtete eine weitere Serie solcher
Schrullen. Wollte ihm aber doch den Kalauer nicht

antun, dass vielleicht die „Erz,"—engel ihn dazu ver-
leitet hätten ! Logik der Sinne hob icVs früher schon
genannt!* Die wünsche ich bei allem Stilisieren
und Symbolisieren gewahrt. Flügel müssen mich sinn-
lich fliegen lassen können. Dann aber bin ich gern
mit Frier weitergegangen — bis in Marthcns Garten,
der mir aus der letzten Gartenbauausstellung hierher
versetzt schien; da kehrte ich um und lasse mir s nicht
ausreden, dass Frau Marthe Schwertlein ihren Garten
nicht von Peter Behrens anlegen Hess.

DICHTER: Das Misslungene mindert den Wert
des Erreichten nicht. Und ist doch auch nur ein ge-
legentliches Nachlassen der Vision im Maler.

DIREKTOR: Ich sehe es als eine Folge des gar
zu unverbrüchlich festgehaltenen Prinzips der „Relief-
Bühne". Diese, so wundervoll in friesartig kompo-
nierten Szenen — wie beim Osterspaziergang und auf
dem Blocksberg! — würde doch meinem Gestaltungs-
drang zu enge Grenzen setzen. Raumkunst auf dem
Theater entwickeln, ist etwas ganz anderes als den
Zopf der perspektivischen l 'edutenmalerei weiter fech-
ten. Und diese Möglichkeit müsste mir auch Max Litt-
mann lassen, wenn er mir ein Theater bauen wollte.
Oder hielten Sie den Sinn der Seene „Wald und Höhle",
die man vor einer Gletscherwand spielte, getroffen?
Hier muss ich die Gaben des „erhabenen Geistes" in
reicherer, duftigerer Fülle um Faust gehäuft sehen.
Ihnen, dem Dichter, brauche ich ja nicht zu sagen, was
dieser Hymnus des Panpsychismus uns ist — sein
soll! — Also Jedes an seinem Orte; der sinnvollen
Möglichkeit, statt der Wirklichkeit, soll die Szene dienen.

DICHTER : Die grosse Wirkung, die ich erlebte,
ging, glaube ich, doch mehr als von der einzelnen Lösung,
von dem neuen Prinzip aus, von dieser unserer Bühne
gänzlich neuen Einfachheit, dieser Absage an die
bühnenleitenden Tapezierer und Dekorateure, die nichts
als Meiningcrei treiben. Selbst in sicher ganz miss-
lungencn Bildern, wie der Hexenküche, der Garten-
szene, spürte ich sie. Ich halte das Prinzip des Reliefs
für überzeugend dargetan.

DIREKFOR: Weil Sie ihm allein die starke,
akustisch so glückliche Wirkung des Wortes zuschreiben?
Denn die Meiningerei kann man auch anders ver-
meiden. Aber wesentlicher als die flache Gestaltung
des Bühnenraums erachte ich für das Zustandekommen
dieser Akustik die hier endlich einmal praktisch ge-
wordene Entfernung des Schnürbodens. Was ich immer
wünschte: man soll unsere Bühnenhäuser in die Breite
bauen und nicht in die Höhe. Hier hängen die Pro-
spekte in einem Seitenraum, aus dem sie auf die Szene

* In „K. u. K." Jahrgang V. Heft 6. (D. Red.)

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