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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 11
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0468

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hinausgezogen werden. Da liegt das Entivickelungs-
monient für das Theater der Zukunft. Denn das
Andere, das Bildliche, lieber Freund, bleibt sinnvolle
Täuschung. Auch hier hatten wir 'Tiefenwirkung
nötig: des Horizonts, der Luft, der nächtigen Dom-
halle, und sahen sie durch eine überaus glückliche
Behandlung des Lichts erreicht.

DICHTER: Tür das sonst in Tiefe und Breite
irrende Auge ist der Prospekt hier doch deutlich nicht
nur, was er darstellt, sondern vor allem abschliessende
Wand. Das Augenmerk wird auf die Gruppe und
den Sprechenden gefesselt.

DIREKTOR: Und lässtuns doch Ewigkeit ahnen.
Man sieht, wie viel wichtiger es auch auf dem Theater
ist, gut im Lichte stehen, als gut beleuchtet sein.

DICHTEM: Dies Auseinandergehen unserer
Meinung beruht darauf, dass in diesem Doppelzustand
ästhetischen Erlebens Sie die Illusion starker betonen,
ich das Bewusstsein der Illusion. Sie haben in Jhrer
bekannten l 'ielseitigkeit als Maler, Musiker . . .

DIREKTOR: Halten Sie ein! Ich bin ja nicht
Gordon Craig, der alles dies und noch einiges in seinem
Mikrokosmus vereinigt. Nein, ich habe gerade gestern
die allerbeste Zuversicht dafür geschöpft, dass ein Zu-
sammenwirken, bei gegenseitigem Geben, Anregen —
aber auch Korrigieren, das der Vollendung Nahe-
kommende schaffen kann. Auch hier gebietet die be-
sondere 'Technik Kompromisse. So sind die Maler doch
nicht, wie sie wollten und wie auch ich es möchte, ohne
die Eussrampe fertig geworden. Ich glaube, es war
Eortunys, des Beleuchtungsreformators, glücklicher Ge-
danke, auch der Eussrampe ein diffuses Licht zu geben,
womit man dem stets vorhandenen und selbst in Nacht-
zeiten noch wirkenden Reflex licht der Natur leidlich
nahekommt. Hat man das gelöst, so wird man viel
leichter auch den L'ebelstand beseitigen können, dass die
Lampen des vertieften Orchesterraums verwirrende
Lichtscheine ins Bühnenbild oder doch auf seinen
Rahmen werfen.

DICHTER: Sehen Sie hinaus.' Das Gebirge ist
frei geworden und leuchtet über die sich streckenden
Hügelschatten auf den Feldern. Es ist jetzt der weite
Hintergrund eines kleinen Menschengesprächs. Und
vieler Szenen, die das Leben spielt: eines Plantanzes
der Bauern am Dorfkrug, eifrig redender Kinder, die

eine entflogene zahme Taube in den Blutenbäumen
verfolgen und unten immer wieder in Umwegen ihrem
unbehinderten Flugweg nacheilen müssen, einer fleissi-
gen Gärtnerin, die, auf den Spaten gestützt, das frische
braune Gesicht in die 'Abendsonne hebt, eines wandeln-
den Liebespaares ... Gebirge und Himmel stellen sich
dicht hinter jede dieser kleinen Szenen, wie Erlers
Märzhügel hinter die Spaziergänger. Das Unendliche
ist immer nahe. Auch hier draussen, wenn ich s in
ruhigem Schauen und stillem Zurückdenken prüfe, bleibt
mein Urteil gleich und sagt: es ist etwas Schönes ge-
lungen. Hier haben wir zum ersten Mal ein Neues, das
die eklektizistisehen 'Theatervielheiten dieser zerrissenen
Zeit nicht vermehrt, sondern ihnen als eine Einheit
gegenübertritt, in welche sie möglicherweise einmal
versinken werden. Wenn diese Bühne den neuen
Dichtern selbstverständlich geworden ist, wenn die
Poeten ihr Werk für eine solche Bühne denken und von
ihr die unzweifelhaften und klaren äusseren Bestim-
mungen des Bildes erhalten, dann ist Hoffnung, dass
die auseinandergehenden Stile unserer Zeit wieder zu
einem Stile werden, der, wie Sommerwärme die Pflanze,
jedes einzelne 'Talent reicher und voller sich entfalten
lassen wird, als das heute möglich ist, wo Jeder für
sich sein Stil, sein Milieu, ja sein Zeitalter sein muss!
Diese Hoffnung erweckt mir das Münchner Künstler-
theater.

DIREKTOR: Dazu sage ich von Herzen Ja und
Amen! Und wenn ich nicht, gleich Ihnen, in so rascher
Hoffnung lodere, so ist's, weil ich den Widerstand
kenne, der sich allenthalben, wo man nun einmal mit
Aufwand von Millionen die prunkvollen, künstlerisch
aber fast durchaus unzulänglichen Schaukästen gebaut
hat, schon aus pekuniären Gründen, gegen diese Reform
aufrecken wird. Und leider, lieber Freund, stimmt es
auch noch heute, was mein Herr Kollege im „Vorspiel
auf dem Theater" sagt: Immer gilt es, hartes Holz der
Gewöhnung zu spalten, worunter ich all die Jämmer-
lichkeiten rechne, die besagter Vorgänger bei seiner
Kundschaft konstatierte; auch „das Lesen der Journale",
die anonym fast alle doch von Momus — und nicht
von Apollon — redigiert werden. Aber wir haben
Faust erlebt und wollen s festhalten: ,;Wer immer
strebend sich bemüht..." Doch da kommt Ihre Gattin,
uns zum Abendbrot zu holen."

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