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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 11
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0501

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CHRONIK

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Gustav Pauli schreibt uns: „Richard Muther ist doch
wirklich ein Schelm, ein Erzschelm! Nicht im mittel-
alterlichen Sinne, nicht zum Aufhangen, o nein, im
modernen Sinne, zum Lachen. Er ist einer von den
ganz guten Spassvögeln, deren Komik eine unwillkürliche
und unbeabsichtigte ist. Sie kommt ihm aus dem Her-
zen, ohne dass er es selber merkt. Oder sollte er sich am
Ende doch über sein Publikum lustig machen, wenn er
sich mit strengem Pathos und feuriger Beredsamkeit
schreibend oder sprechend vernehmen lässt? — Er geht
nämlich davon aus, dass dieses Publikum über alle
Massen einfältig, vergesslich und gedankenlos sei. In-
wieweit er damit Recht haben könnte, wage ich micli
bei dem mir angeborenen Respekt vor dem Publikum
nicht einmal zu fragen. Nur sollte solch ein Publikums-
verächter doch immer bedenken, dass inmitten der
grossen Masse gewöhnlich ein paar Individuen mit bes-
serem Gedächtnis sitzen, die ihm Unannehmlichkeiten
bereiten könnten. Doch darüber setzt sich unser
schalkischer Muther hinweg.

Erinnern Sie sich noch der Zeit, da sich einige
jüngere Kunsrgelehrte, angeregt durch Theodor Volbehr,
das Vergnügen machten, Muthern die fremden Federn

auszurupfen, mit denen er sich nicht zu spärlich, nament-
lich in seiner „Entwicklungsgeschichte" geschmückt
hatte? — Er war davon ausgegangen, dass Leute, die
sich für Kunstgeschichte interessieren, keine französi-
schen Romane lesen, und antwortete nun in der schönen
Broschüre der „Mutherhetze" mit einer Apologie des Pla-
giats. Somit brach er in gewissem Sinne der nachfolgenden
Attacke Artur Seemanns die Spitze ab, der ihm nach-
wies, dass sein Kapitel über Miller seitenweise aus Bigots
Peintres contemporains abgeschrieben war. Die sittliche
Entrüstung, mit der man damals Muther verfolgte,
schien mir gleichwohl nicht ganz gerechtfertigt zu sein.
Mir kam es nur komisch vor, dass sich ein ordentlicher
Professor die grässliche Mühe dieser Abschreibereien
und Übersetzungen und Zusammenstellungen machte,
die ihm — so sollte man doch meinen — mehr Kopf-
zerbrechen hatte kosten müssen, als wenn er aus sich
selbst heraus seine Meinung gesagt hätte.

So möchte icli Sie denn — nicht entrüstet, sondern
belustigt — auf die neueste Produktion Muthers vor dem
vergesslichen Publikum aufmerksam machen. Um Ab-
schreibereien handelt es sich diesmal nicht, sondern um
einen jähen Wechsel der Ansicht. Es ist jetzt gerade

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