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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 6.1908

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Heft 11
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Bernard, Émile: Erinnerungen an Paul Cézanne, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4705#0495

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BLICK AUF SEPTENNE

ERINNERUNGEN AN PAUL GEZANNE

VON

EMILE BERNARD

Eines Abends forderte Cezanne mich auf in sein
Zimmer zu kommen, um die Gravüre eines Van
Ostade anzusehen, die für ihn das Muster aller
Vollkommenheit war. Mir Hei als Schönstes in
diesem Zimmer ein Blumenaquarell von Delacroix
auf, das er nach der Auktion bei Choquet von
Vollard erstanden hatte. Schon immer hatte er es
bei dem Sammler, seinem alten Freunde, bewundert
und oft gute Lehren über Tonwerte daraus ge-
schupft. Er hütete das Aquarell sorgfältig, es war
eingerahmt, und um ein Verblassen der Farbe zu
vermeiden, war es, bequem zur Hand, gegen die
Wand gekehrt. Sein Zimmer war äusserst einfach,
gross und hell, das Bett stand in einem Alkoven,
wo mitten an der Wand ein KruziHx hing.

Da im Atelier eine neue Auflage der Anatomie-
lehre der Acadcmie des Beaux Arts von Tortebat

(FORTSETZUNG)

lag, deren Stiche von Tizian, und wie Andere be-
haupten , von Jean de Calcar herrühren sollen,
sprachen wir von den Meistern der Anatomie. In
dieser Wissenschaft war Cezanne wenig bewandert,
dennoch hatte Lucas Signorelli immer seine Auf-
merksamkeit gefesselt, allerdings mehr was den Stil,
als was das Studium der Muskeln anbelangt. Und
gerade Das war es, was ihn bei seinen Arbeiten in
Verlegenheit brachte, wenn er nicht nach der Natur
malte, denn er beherrschte die Form nicht durch
Wissen und die Gewohnheit des Modellstudiums.
Die Jugend Cczannes war ausschliesslich dem
Nichtsthun und der Literatur gewidmet; zwar hat
er damals viel gemalt, aber immer noch unsicher,
er tastete sich noch über Courbet und Manet vor-
wärts. Ich für mein Teil liebe, was ich von jener
Zeit her kenne es sind; bereits Werke eines wahren

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