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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 7.1909

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Heft 4
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Vauxelles, Louis: Henri de Toulouse-Lautrec
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https://doi.org/10.11588/diglit.4599#0166

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ihres Lebenswerkes der Welt schenken konnten, so
verdankt man dies einigen wenigen klar sehenden
und begeisterten Amateuren. Claude Monet, Sisley,
Pissarro, Renoir, Guillaumin, Cezanne Degas, die
jetzt als die absoluten Repräsentanten französischer
Tradition angesehen werden, wurden ebensowenig
zu den Ausstellungen zugelassen, wie vor ihnen
Corot, Millet, Courbet Manet und Puvis de Cha-
vannes. Der Meister Rodin, dessen wunderbaren

HENRI DE TOULOUSE-LAUTREC, POLAIRE

Aufbau der Pläne und Massen jetzt die ganze zivili-
sierte Welt anerkennt, wurde zehn Jahre lang von
dem Hass und Neid der Akademie verfolgt. Der
Fall Lautrec liegt ähnlich. Wie die leuchtenden
Landschaften von Paul Cezanne von den Liebhabern
konventioneller, im Atelierlichte gemalter Bilder
dünkelhaft verachtet wurden (ihre Lieblinge waren
Jules Breton, Francais und Harpigny) und es früher
nur auf dreissigbis vierzig Francs brachten, während
sie jetzt mit dreissig- und vierzigtausend bezahlt wer-
den, ebenso wurde Toulouse-Lautrec während sei-
nes zu kurzen Lebens von „den gediegenen Leuten"

als ein Illustrator ohne jede Bedeutung angesehen.
Man betrachtete von obenhin seine Zeichnungen
und Malereien, und da die Moral bei uns zu Lande
immer den Ton angiebt, so pflegte man sie als
der Phantasie eines Sadisten entsprungene Obscöni-
täten zu verdammen. Und doch — man muss es
gleich zu Anfang dieser kurzen Studie betonen —:
Toulouse-Lautrec hatte niemals Freude am
Schmutzigen. Die Welt, die er studierte, ist
keineswegs sympathisch oder erfreulich, aber die
Wahrheitsliebe Lautrecs zeichnete und malte sie
mit einer schauerlichen Treue, die jeden unzüchtigen
Gedanken ausschliesst. Es ist eine der schlimmsten
Niederträchtigkeiten unserer Moralprediger, die
künstlerische Freiheit leichthin mit der Freude am
Unzüchtigen zu vermengen und denselben Tadel
zu haben für Leute, die aus Geldgier den verderb-
ten Instinkten der Menge schmeicheln und für die
Künstler, die ernst und objektiv die Verworfenheit
ihrer Zeit studieren.

Es ist zum Verständnis der Kunst Lautrecs un-
erlässlich, einen kurzen Blick auf sein Leben zu
werfen. Sein Äusseres war höchst merkwürdig.
Man denke sich einen Zwerg von Valesquez oder
von Antonio Moro gemalt, einen Gnomen von
Goya oder Callot, einen kleinen, hageren, krum-
men, schwächlichen Homunculus — Boldini ist
ein Antinous neben ihm—, der sich die Nächte in
den Music-halls, Boui-bouis von Montmartre oder
im Circus herumtrieb und mit blitzenden Augen
und metallischer Stimme bittere, scharfe Sarkasmen
und beissende Spöttereien losfeuerte.

Dieser schmächtige, kleine Mensch war ein blau-
blütiger Aristokrat, wie übrigens auchderarmeMon-
ticelli, dessen grossartiges Lebenswerk derHerbstsalon
soeben ausgegraben hat und der, ais direkter Nach-
komme der Herzöge von Spoleto, ein jämmerliches
Bohemeleben geführt hat, ebenso wie der geniale
Schriftsteller Villiers de l'Isle Adam aus aristo-
kratischem Stamme hervorging. Die Ahnen von
Toulouse-Lautrec waren die Grafen von Toulouse,
die die Albigenser knechteten und von denen sich
Viele mit Prinzessinnen aus königlichem Blute ver-
mählten. Ein Balduin von Toulouse heiratete vor 600
Jahren „Alix, Comtoresse de Toulouse", und durch
sie wurde der gutturale Name Lautrec an den Stamm-
namen angehängt. Der junge Künstler kümmerte sich
nicht um diesen Adel und bildete sich nichts darauf
ein. Den Adel, auf den er Wert legte, konnte ihm
nur die Kunst verleihen. Schon als Kind machte

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