ZUR GESCHICHTE DES STÄDTEBAUES
VON
RUDOLF EBERSTADT
Es mag vielleicht unangebracht erscheinen, eine
Darlegung mit einer Fragestellung zu beginnen;
dennoch möchte ich zunächst hier die Frage auf-
werfen: sollen wir im Städtebau überhaupt histo-
rische Studien betreiben? Das Selbstgefühl des
Künstlers mag sich gegen eine solche Zumutung
wehren; er will aus eigenem Vermögen schaffen,
aus seiner eigenen Zeit Anregung entnehmen; er
will auch nicht an fremden Massstäben gemessen
werden. Gleichwohl ist die historische Betrachtung
im Städtebau notwendig.
In unserem gesamten Kulturleben wird die
Gegenwart in hohem Maasse durch die Vergangen-
heit bestimmt. Am meisten aber ist dies wohl auf
dem Gebiet des Städtebaues der Fall. Eine Gegen-
wart im strengen Sinne des Wortes, die ihr Werk
aus dem Neuen selbständig beginnen könnte, giebt
es hier nicht. Überliefert werden uns Recht und
Technik; überliefert wird uns das System der Bau-
weise; überliefert werden uns namentlich die wirt-
schaftlichen Verhältnisse, deren Einfluss sich bis zu
einem Zwang in der Bodenverwertung steigert.
Jeder Fortbildung stellen sich beim Städtebau die
Hemmungen der überlieferten Gestaltung entgegen.
Für die Erkenntnis der Zustände der Gegenwart ist
deshalb eine historische Untersuchung in gewissem
Umfang jederzeit notwendig. Ein Augenblicksbild
kann uns niemals einezureichende Auf klärunggeben;
es ist immer einseitig und täuschend. Der Zeitpunkt
aber, bis zu dem wir die Untersuchung der nächsten
Überlieferung rückwärts führen müssen, lässt sich
kaum allgemein bestimmen; die Grenze rückt bei
jeder Einzelheit immer höher in die Vergangenheit
hinauf.
Zu der unvermeidbaren Untersuchung der in
die Gegenwart hercingreifenden Überlieferung tritt
nun die selbständige historische Forschung, die die
abgeschlossenen geschichtlichen Abschnitte darzu-
stellen sucht. Im Städtebau ist diese Geschichts-
forschung von grossem Einfluss; wir haben Kunst-
perioden, die lediglich auf dem historischen Studium
beruhen und von ihm unmittelbar hervorgerufen
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VON
RUDOLF EBERSTADT
Es mag vielleicht unangebracht erscheinen, eine
Darlegung mit einer Fragestellung zu beginnen;
dennoch möchte ich zunächst hier die Frage auf-
werfen: sollen wir im Städtebau überhaupt histo-
rische Studien betreiben? Das Selbstgefühl des
Künstlers mag sich gegen eine solche Zumutung
wehren; er will aus eigenem Vermögen schaffen,
aus seiner eigenen Zeit Anregung entnehmen; er
will auch nicht an fremden Massstäben gemessen
werden. Gleichwohl ist die historische Betrachtung
im Städtebau notwendig.
In unserem gesamten Kulturleben wird die
Gegenwart in hohem Maasse durch die Vergangen-
heit bestimmt. Am meisten aber ist dies wohl auf
dem Gebiet des Städtebaues der Fall. Eine Gegen-
wart im strengen Sinne des Wortes, die ihr Werk
aus dem Neuen selbständig beginnen könnte, giebt
es hier nicht. Überliefert werden uns Recht und
Technik; überliefert wird uns das System der Bau-
weise; überliefert werden uns namentlich die wirt-
schaftlichen Verhältnisse, deren Einfluss sich bis zu
einem Zwang in der Bodenverwertung steigert.
Jeder Fortbildung stellen sich beim Städtebau die
Hemmungen der überlieferten Gestaltung entgegen.
Für die Erkenntnis der Zustände der Gegenwart ist
deshalb eine historische Untersuchung in gewissem
Umfang jederzeit notwendig. Ein Augenblicksbild
kann uns niemals einezureichende Auf klärunggeben;
es ist immer einseitig und täuschend. Der Zeitpunkt
aber, bis zu dem wir die Untersuchung der nächsten
Überlieferung rückwärts führen müssen, lässt sich
kaum allgemein bestimmen; die Grenze rückt bei
jeder Einzelheit immer höher in die Vergangenheit
hinauf.
Zu der unvermeidbaren Untersuchung der in
die Gegenwart hercingreifenden Überlieferung tritt
nun die selbständige historische Forschung, die die
abgeschlossenen geschichtlichen Abschnitte darzu-
stellen sucht. Im Städtebau ist diese Geschichts-
forschung von grossem Einfluss; wir haben Kunst-
perioden, die lediglich auf dem historischen Studium
beruhen und von ihm unmittelbar hervorgerufen
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