Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 29.1931

DOI Heft:
Heft 11
DOI Artikel:
Koch, Karl: Nürnberger Malerei von 1350-1450: Ausstellung im Germanischen Museum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7610#0462
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Museum neuerdings zu erringen wußte. Auch ließen sich
die Kirchenverwaltungen vielfach zur Reinigung oder Re-
staurierung ihrer Leihgaben bestimmen. Eine der erfreu-
lichsten Feststellungen ist der völlig intakte Zustand der
edlen ImhofFschen Marienkrönung, deren verdunkelte untere
Partien sich leicht säubern ließen. Der aus dem Dämmer-
licht der Frauenkirche hervorgezogene mächtige Tucher-Al-
tar aber, der nicht einmal auf der Nürnberger Jubiläums-
Ausstellung von 1906 zu sehen war, ist die Sensation unter
all den sich zu Studium und Vergleich anbietenden Werken.

Von Nürnberger Malerwerkstätten in der zweiten Hälfte
des vierzehnten Jahrhunderts, zur Zeit der Kunstblüte in
Böhmen, war bisher nur allzuwenig bekannt. Die strengen
Heilsbronner Tafeln, eine Kreuzung von Einflüssen franzö-
sischer Miniatur und giottesken Stiles, bleiben eine ebenso
isolierte Erscheinung wie die Klosterneuburger Tafeln der
Wiener Schule. Da vermag die Ausstellung durch die re-
staurierten bilderreichen Flügel des Hochaltars von St. Jakob,
die wohl in der Literatur des neunzehnten Jahrhunderts be-
reits erwähnt, aber als durch Übermalung unrettbar verloren
betrachtet wurden, eine große Überraschung zu bieten. Ob-
wohl alle Darstellungen als beschädigt und manche nur noch
in Spuren herauskamen, erkennt man einen äußerst schmuck-
haften, exzessiv bewegten Flächenstil und eine sinnliche
Farbigkeit, die böhmischen Einfluß vermuten lassen. Da der
Goldgrund verschiedener kleiner, in einem lichten steifen
Stil gemalter Tafeln genau die gleichen Punzenmuster zeigt,
so ist das Bestehen einer Nürnberger Malerwerkstatt in der
Epoche des Schönen Brunnens als gesichert anzusehen.
Mit dem bedeutenden Meister der Marientafeln, in dem
schon Thode den Vorgänger seines Meisters Berthold ver-
mutete, beginnt, aus Lichtdurchtränktheit zur Formbewegung
vortastend, der durch eine gewisse herbe Haltung gekenn-
zeichnete Nürnberger weiche Stil. Das anschließend ausge-
breitete Material ist durchweg „bekannt", d. h. in der Literatur
bereits verarbeitet. Es ergeben sich aber für den kritischen
Blick viele wichtige Feststellungen, die meist schon in dem
vorzüglichen Ausstellungskataloge angedeutet sind.

Die Flügel des Berliner Deichsler-Altars und der Imhoff-
Altar, die fast gleichzeitig entstanden sind, unterscheiden
sich so grundsätzlich, daß sie nicht der gleichen Persönlich-
keit gegeben werden können. Auf den Berliner Tafeln wird
das Zierwerk der Schraubensäume formalistisch gegen die
Binnenfalten der langgezogenen, geschwungenen Gestalten
kontrastiert, während der ImhofT-Altar in ganz anderem Sinne
Malwerk ist und seine Farbflächen in einem nuancenreichen
Lichtstil atmen. Bewunderungswürdig ist der farbenpsycholo-
gische Gegensatz zwischen der in mannigfaltigem Rot er-
glühenden Schauseite des Altars und dem Rückseitenbilde
des Schmerzenmannes in gedämpften, gebrochenen Tönen,
als dessen Begleittiguren (Rückseiten der Standflügel) sich
koloristisch die Heiligen Bartholomäus und Mathias bestim-

men lassen. Von der malerischen Überzeugung dieses Mei-
sters, der die Einfachheit der Gesten liebt, scheint der
Schöpfer des Bamberger Passionsaltars von 1429 auszugehen,
den schon Gebhardt als eine jüngere, dem Realismus bahn-
brechende Persönlichkeit erkannte und gegen die leisere Art
des Älteren abhob. Seine Gruppen sondernde, die breit-
spurige Erscheinung und sinnliche Physiognomik liebende
Erfindung geht dermaßen auf frühquattrocentistische italie-
nische Intentionen ein, wie kein erhaltenes Werk jenseits
der Alpen. Als Werkstatt dieses Meisters schließt der Ka-
talog ein übergroßes Material zusammen, das auf den neuen
Errungenschaften basiert, aber rückläufig ist und in den
besten Bildern am ehesten einen edlen Maßsinn für das
flächige Auseinanderlegen der Darstellung bewahrt. So ent-
wicklungsgeschichtlich bedeutend der Bamberger Altar ist,
so wird er doch an Originalität und Tiefe weit übertroffen
durch die Werke des Tuchermeisters, die die zentrale Stel-
lung in der Nürnberger Malerei vor Dürer einnehmen. Der
Katalog unternimmt den m. E. sehr glücklichen Versuch, den
Meister des Volckamer-Imhoff-Epitaphs, dem auch der Passions-
Altar des Johannesfriedhofs und der der Friedhofskapelle in
Langenzenn zuzuschreiben ist, vom Meister des Tucher-Altars,
zum mindesten als selbständiges Werkstattmitglied, abzuson-
dern. Der Altar vom Johannesfriedhof, der, worauf Pächt hin-
wies, in den drei Kreuzen auf dasselbe Vorbild zurückgeht wie
ein Bild der Wiener Schule, zeigt bekanntlich bei Mo-
tiven wie dem hinsinkenden, unter der Achsel gestützten
Marienkörper einzigartig unverarbeitete Fremdbeziehungen.
Vom Werke des Tuchermeisters entschieden zu trennen ist
das Bildnis eines blonden jungen Mannes, das, nach seinem
Stile spitzer Nahbetrachtung und auch kostümlich vor den sieb-
ziger Jahren nicht zu denken ist.

Da der Haller-Altar trotz sehr charakteristischer Züge nicht
als ein meisterliches Werk angesehen werden kann, zeugen
für die Bedeutung des Tuchermeisters heute nur noch das
Ehenheim-Epitaph und der Altar der Frauenkirche. Das Epi-
taph, das durch die byzantinische Würde seiner Haltung
einen ganz eigenen Rang einnimmt, verdient wegen seiner
sensiblen, modulationsreichen Oberflächenbehandlung eine
erneuerte Bewertung. Welch eine Wandlung in dem um
reichlich ein Jahrzehnt späteren, sonderbar vielteiligen Tucher-
Altar, eine Wandlung zu blockartiger Schwere, zu glatter,
die gewichtige Form hervortreibender Technik, zu sonore-
ren Farben, zu tiefsinnigem Ernst. Der Tuchermeister ist
mit diesem Stil eher ein Spätling unter den großen Gewal-
tigen vom Schlage des Witz und Multscher. Er bewahrt eine
Inbrunst und einen religiösen Fanatismus, durch die er inner-
halb Deutschlands eine besondere Position einnimmt. Formal
scheint er dem Westen gar nicht verpflichtet, es sei vielmehr
empfohlen, dem ideellen Zusammenhang mit dem Süden,
der in der Forschung der letzten zwanzig Jahre zu unrecht
mißachtet wurde, nachzuspüren.

432
 
Annotationen