Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Mitarb.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0053
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
und leutseliger als ein Generälstaatssecretär: von ihm geht keiner ungetröstet; er schaut wie
ein Beichtiger in die verborgensten Herzensfalten hinein, vor ihm werden tausend Schmerzen
abgeladen, tausend Hoffnungen ausgesprochen, tausend Wünsche bekannt: er liest, er hört an, er
schlägt vor, er räth dies Wort zu setzen, jenen Ausdruck zu brauchen, er gleicht dem Dichter, der
ausspricht, was alle Menschen fühlen, dem Briefsteller, der eine Form für alle Lebenslagen
findet und der Alle zufrieden stellt.
Das Leben ist interessanter und spannender als alle Novellen, die jemals geschrieben
worden sind, zusammen; durch die Adern des öffentlichen Schreibers pulsirt es in Purpurströmen:
sein Schreibtisch ist das Reservoir, in welchem sich alle Quellen und Bäche desselben sammeln.
Begehrt man eine künstlerische Darstellung davon, so lese man keinen Roman — Romane tauchen


Der Secretär des Volkes.

nicht für diese unmittelbaren, vulcanischen Naturen: wenn man wissen will, wie die Neapolitaner
lieben, so sehe man sich die Pantomime an. Man lasse sich den neapolitanischen Nationaltanz,
die Tarantella tanzen — etwa bei einem Fest in einem Wirthshaus, oder in dem Tempel des
Mercur zu Bajae, oder auf dem Dache eines Fischers in Sorrent; der wohlbekannte Gennaro
gab weiland der Baronin Wrangel Unterricht in der Tarantella, aber er soll sie uns lieber mit einer
Tochter des Landes, der schönen Fortunata, tanzen. Die Tarantella ist kein Rundtanz sie wird
von einem Paare, gewöhnlich einem Burschen und einem Mädchen, manchmal auch von zwei
Mädchen ausgeführt: eine Dritte, die daneben sitzt, schlägt die rauschende Handtrommel oder
das Tamburin dazu und singt. Die 1 änzer selbst haben meist Castagnetten in den Händen
oder knistern wenigstens mit den Fingern. Der Anfang ist, wie bei jedem Ball, das Kompliment;
man begrüsst sich, will weitergehen,. kommt wieder, betrachtet sich ahnungsvoll und bleibt wie
gefesselt stehn... Morgenroth der Liebe, Frühling zweier Herzen 1 Der Jüngling streckt verlangend

27
 
Annotationen