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Kleinpaul, Rudolf; Heinrich Schmidt & Carl Günther [Contr.]
Neapel und seine Umgebung: mit 142 Illustrationen — Leipzig: Heinrich Schmidt & Carl Günther, 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.55172#0054
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die Arme aus, das Mädchen hüpft scheu bei Seite und ergreift mit beiden Händen die Zipfel
ihrer Schürze, um sie mit weiblichef Coquetterie bald zu lüpfen, bald fallen zu lassen, bald fest
an die gebogenen Knie anzuziehn. Gennaro braucht auch etwas, um die Anmuth seiner Bewegungen
zu entfalten: er nimmt ein seidenes Taschentuch und hält es wie eine wehende Fahne in die
Höhe und schwenkt es und spannt es aus: so spielend schweben sie an einander vorbei, ohne
sich zu berühren, und doch im Banne eines mächtigen Magneten. Aber bald schlägt das
entzündete Feuer in hohe, lichte Gluth aus, die Leidenschaft erwacht und sie drehen sich wirbelnd
in fieberhaften Kreisen um einander. Die Liebe ist eine Art von Krieg: Gennaro setzt zu, Fortunata
ist übermüthig — Gennaro ist untreu, Fortuna wird eifersüchtig — sie necken sich, sie zanken
sich, sie haben sich doch gerne — sie beugen die Knie und scharren mit den Füssen, wie im

Vor dem Wirthshause.


Begriffe Frieden zu machen und sich an’s Herz zu drücken, dann reisst sie abermals ein Sturm-
wind aus einander . . . die einzelnen Figuren und Modificationen hängen ganz von der Laune, von
von der Eingebung des Augenblicks und wohl auch von der gegenseitigen Sympathie der jeweiligen
Tänzer ab. Auch der Text der begleitenden Lieder hat Einfluss auf die Entwickelung der
Pantomime: es sind meist Liebesklagen, oft recht melancholische.
Bekanntlich soll die Tarantella ein Heilmittel gegen den Biss der Tarantel sein: so, italienisch
Tarantola, heisst eine Spinne, die sich in der Gegend von Tarent findet. Wer von der Tarantel
gebissen oder gestochen, tarantulirt wird, verfällt angeblich in Schwermuth, ja, in einen Zustand
todesähnlicher Erstarrung, und er geht zu Grunde, wenn er sich nicht augenblicklich aufrafft,
beim Klange des Tamburins eine rasende Tarantella anhebt und forttanzt, bis er in Schweiss
gebadet ist. In dem nervösen Apulien war die Tarantella ihrerzeit zu einer wahren Epidemie
geworden, die Leute geberdeten sich wie die tanzenden Derwische zu Constantinopel und Kairo

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