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Knackfuß, Hermann; Michelangelo [Ill.]
Michelangelo — Künstler-Monographien, Band 4: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.71515#0084
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Michelangelo.

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gehörigen Stadt Pietrasanta nutzbar zn
machen. Michelangelo sollte zwar die
Steine für die Fassade nach seinem Gut-
dünken aus Carrara oder aus Pietrasanta
beschaffen dürfen; aber eine Bevorzugung
der florentinischen Marmorbrüche wurde
mit großer Entschiedenheit gewünscht;
der Kardinal sprach letzteres sehr deutlich
in einem Brief an Michelangelo aus,
worin er diesem sogar vorwarf, daß er
aus eigennützigen Gründen dem Papst
zu trotzen und den Marmor von Carrara
demjenigen von Pietrasanta vorzuzichen
schiene. Die Carraresen andererseits ließen
Michelangelo ihren Verdruß darüber, daß
sie durch die neu zu erschließenden Stein-
brüche einen Teil ihres Verdienstes ver-
lieren sollten, bitter empfinden. Sie
weigerten sich, die früher eingegangenen
Verträge ihrer Lieferung und Verschiffung
von Marmor zu halten. Michelangelo
sah sich gezwungen, bis nach Genua zu
gehen, uin Frachtschiffe zur Verladung
der bereits zugehauenen Marmorblöcke zu
mieten. Aber in Carrara wurden die
Führer dieser Schiffe bestochen, daß sie
die Verladung unterließen. Nicht besser
erging es ihm, als er andere Schiffe
aus Pisa kommen ließ. So blieb ihm
nichts anderes übrig, als sich nach Pie-
trasanta zu wenden. Natürlich entstand
ein ungeheurer Zeitverlust dadurch, daß an


Abb. 69. Drei Männer, welche einen Toten tragen.
Rötelzeichnung in der Sammlung des Louvre zu Paris.

(Nach einer Originalphotographie von Braun, Clement L Cie.
in Dörnach i. E. und Paris.)

die Stelle von Marmorbrüchen, welche sich
in wohlgeordnetem Betrieb befanden, solche
traten, die erst erschlossen werden mußten.
Sogar die Straße zur Beförderung des
Marmors aus den Bergen von Serravezza
zum Meer mußte Michelangelo mit großer
Mühe bauen laffen. Dabei hatte er oben-
drein noch Ärgerlichkeiten mit den Floren-
tiner Behörden, welche Abgaben von den
neuen Marmorbrüchen erheben und die
Fahrstraße nach ihren, nicht nach Michel-
angelos Anordnungen angelegt wissen wollten.
Diesen Ansprüchen gegenüber behauptete er
allerdings die Oberhand. Aber damit hörten
die Schwierigkeiten nicht auf. Die Stein-
arbeiter aus Settignano, welche Michelangelo
Hatte nach Serravezza kommen lassen, ver-
standen sich nicht auf die Behandlung des
Marmors, und Michelangelo hatte allen
Grund, sich über die verlorene Zeit und
das weggeworfene Geld auf das bitterste zu
beklagen. Als endlich eine Säule fertig

zugehauen War, stürzte sie beim Herablafsen
infolge des Zerspringens eines schlecht ge-
arbeiteten eisernen Reifens und zersprang
in hundert Stücke, so daß Michelangelo durch
die umherfliegenden Splitter in große Lebens-
gefahr geriet. Von fünf Säulen, die nach
Florenz geschickt wurden, zerbrachen vier
unterwegs. Im Frühjahr 1519 War end-
lich die Sache so weit in Gang gebracht,
daß der Meister in Florenz mit den Bild-
hauerarbeiten für die Fassade beginnen zu
können glaubte. Aber nun geriet er in
Uneinigkeit mit dem Kardinal Mediei.
Dieser beklagte sich darüber, daß das Unter-
nehmen nicht vorwärts kam, er fing an,
bösen Zungen Gehör zu schenken, welche
sagten, daß Michelangelo selbst daran schuld
sei; und der letztere geriet in Zorn darüber,
daß der Kardinal in Nichtachtung der Ver-
träge, welche die Marmorbrüche von Pietra-
santa zur ausschließlichen Verfügung Michel-
angelos stellten, fremde Arbeiter dorthin
 
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