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Knackfuß, Hermann
Dürer — Künstler-Monographien, Band 5: Bielefeld [u.a.]: Velhagen & Klasing, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.61322#0105
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Heiltumsbilder

Eine innige Poesie heiligen Erdendaseins erfüllt das Blatt, das die heilige
Familie umgeben von ihren Verwandten, die sogenannte heilige Sippe, darstellt.
Jede dieser Persönlichkeiten ist ein Charakter, und ein paar Baumstämme und

der Rücken eines Hügels zaubern de» Eindruck einer reizvoll behaglichen Land-
schaftsstimmung hervor (Abb. 83).

Die Gemälde, die Dürer zunächst nach der Landauerschen Altartafel aus-

führte, erforderten kein so ungeheures Matz von


Arbeitskraft, wie der Meister
sie bei seiner feinen und ge-
wissenhaften Art der Ausfüh-
rung auf die Altarbilder der
letzten Jahre verwendet hatte.
Es sind Werke von großem
Matzstab bei erheblich geringe-
rem Umfang. Die Gemälde-
sammlung zu Wien besitzt ein
liebenswürdiges kleines Ma-
rienbild vom Jahre 1512,
das nach einer angeschnitte-
nen Birne, die das auf den
Händen Marias liegende nackte
Jesuskind im Hündchen hält,
benannt zu werden pflegt
(Abb. 84). Dürers italienische
Zeitgenossen haben in ihren
Madonnen ein Matz von sinn-
licher Schönheit, in deren
Vollkommenheit sie, gleichwie
die Künstler des klassischen
Altertums, das Ausdrucks-
mittel für geistige Vollkom-
menheit sahen, zur Anschau-
ung gebracht, das über das-
jenige, was der deutsche Mei-
ster in dieser Hinsicht zu schaf-
fen vermochte, sehr weit hin-
ausgeht. Aber keiner von ihnen
reicht an diesen heran in be-
zug auf die Verbildlichung hei-
ligster Jungfräulichkeit. Keine
Formenschönheit vermöchte so

Abb. SO. Aus der Kupserstichpassion: Die Grablegung <1512)
<Zu Seite 87)

nachhaltig auf den Beschauer
zu wirken, wie der unfaß-

bare Zauber vollkommener

Herzensreinheit, der über dem süßen Mädchengesicht dieser Dürerschen Madonna
schwebt.
Ferner malte Dürer im Jahre 1512 im Auftrage seiner Vaterstadt, die ihn
150!) durch Ernennung zum Ratsmitgliede geehrt hatte, zwei lebensgroße Kaiser-
bilder zum Schmucke der „Heiltumskammer", eines zur Aufbewahrung der Reichs-
kleinodien bestimmten Gemaches. Die darzustellenden Kaiser waren Karl der Große
als der Gründer des Kaisertums und Sigismund als derjenige, welcher der ge-
treuen Stadt Nürnberg das „Heiltum" anvertraut hatte. Für diesen benutzte
Dürer ein älteres Bildnis; in seinem Karl dem Großen schuf er das Idealbild des
gewaltigen Herrschers, das seitdem in der Vorstellung des deutschen Volkes lebt
(Abb. 85 u. 86). Ziemlich stark übermalt, befinden sich diese Gemälde, von denen

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