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Zentral-Dombauverein <Köln> [Editor]
Kölner Domblatt: amtliche Mittheilungen des Central-Dombau-Vereins — 1863 (Nr. 215-226)

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https://doi.org/10.11588/diglit.1813#0007
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zu Florenz gesördcrt und nach Anleitung der Rachlaffenschaft Vitruv'S
zuerst auf italienischsm Bodeu systematisch entwickelt, sei dann unter Franz I.
nach Frankreich übertragcn woroen und habe hier bei der noch auS dem
Aittcialtec ererbten vortresfiichen Technik. namentlich bei dem
Eivil- und Paiastbau, prachtvolle Diüthen getrieben. Da nun schon seit alter
Zeit der Deutsche nuc allzusehr der Affe deS französischen NachbarS gewesen
sci, so sei der neu aufgewärmte Baustyl, den man die Renaiffance zu nen-
nen beliebe, an den Rhein und über den Nhein vorgedrungen und habe bei
der Abgestorbenheit und der geistigcn Verslachung der damaligen Zeir auch
in Deuischland vollständig daS Terrain sich zu erobern gewußt. Aber die
Renaissance. die, zusammengesetzt auS zwei heterogenen Eiemsntcn, dem christ-
lichen und dem heidnischsn, alS Zwittec in ihren Grundfactoren uneins und
gelhcilt gewesen fti, habe sich auf die Dauer alg allgsmein geltender Bau-
siyl wedec organisch weiter auSbilden, noch sich dauernd behaupten können.

So sei nun, wis der Voctragende entwickelte, der Renaiffance deS t6.
JahrhundertS der Rococo deS t7. JahrhundertS mit seinen überladenen,
dehäbiqen Schnöckeln nothwsndig gefolgt, dcc in den „goidenen" Tagen
Ludwig'S XIV. und der Pompadour ftinen Höhepuncr erreicht habe und an
Ueberbietung und dem Zuviel der schäkernden Formen baid zu Gcunde gc-
gangen sei Nock immer aber habc sich, vom Mittelalter herrührend, bei den
Künstlern deS 17. Jahrhunderts eine Gediegenheit der Technik und ein rich-
iigeg Vsrständniß deS MachenS gerettet. DieseS werthvolls Vermächtniß der
christlichen Altvordern habe noch im 18. Jahrhundert dec sogenannte Pe-
rückensiyl angetreten, und sei eS Lemftlben, im Besitze einer sotiden, ehrlichsn
Technik, noch manchmal gelungen, Formgebilde zu schafsen, die sich allgemein
geltend machcn konnren. 'Mit dem Hereinbrechen der ersten fcanzöfischen Re-
votution und der großen Devastation, die auf allcn Gebieten der Kunst am
Ends dcs vorlgen JahrhundertS in Europa aufgetreten fti, wären aber nicht nur
Lie letzten Herrlichkeilen deS Zopfstyls zu Grabe getragen worden, sondern
mit dem Zusammenbrechen diefts StylS fti auch im Bsginne unftreS Jahr.
hundertS den schaffenden Künstlern auf den verschiedenen Gebieten die ererbte
Technik nach und nach abhanden gekommen, so daß man in den Flitterjahren
des ersten fcanzöfischen ZwperatorS vollständig bei dem NihiliSmuS angelangt
und hinstchüich des technischen Machens auf allen Zwsigen der Kunst so
ziemlich aus den Nullpunct gerathen fti.

Gegen Schluß deS ganz freien VortrageS, der mehr alS zwei Stunden
gedauert hatte, wieS der'Redner noch nach, welchs große Verdienste der voc
wenigen Jahren verstorbene Sulpiz Boifferöe fich nicht nur für die Wieder-
erweckung der christlichen Kunst im Allgemeinen, sondern speciel auch für
den Weitec- und Ausbau deS kölner DomeS erworben habe, und wie der-
selbe bei den bedeutendsten Männern ftiner Zsit: Göthe, von Schlegel rc.,
die Vorliebe und LaS Verständniß süc unssre vaterländische Kunst weftntlich
gefördsrt habe. Nachdem der Redner noch in treffenden Worten dte warme
Theilnahms, die unftr geistvoller König Friedrich Wilhelm IV. alS Pro-
tectoc Lem Dombau zeillebens widmete, gewücdigt hatte, schloß er, indem er
noch hervorhob, wis die Wiederbelebung der christiichen Kunst in den letzten
Jahrzehenden mit dem Weiterbau des kölner DomeS sortwährend Hand in
Hand gegangen fti, und wie die Erfolge, die in nsuester Zeit sowohl auf
dem Gediete der Architektur, als auch der verwandten Zweigkünste erzielt
worden, mittelbar dem AuSbaue deS kölner DomeS zuzuschreibsn seien. ^)

0. Fr. Bock.

Ueber Lettuer.

Da die Lettner-Fcage für unftren Dom immer brennender wird und sich
sogar Stimmen erhsben, weiche daS Chor lediglich durch cin einfacheS Gitter-
thor vom Schiffe getrennt wifssn wollen, um die freis Ausfickt aus den Hoch-
altar in keiner Weise zu beschränken, so möchte es wohl angemcssen ftin, auf
ein Werk deS um die Wiederbelebung der echt kirchllchen Kunst so hoch vsr-
verdienten Engländecs Wslby Pugin aufmsrksam zu machen, welcheS 1851
in London bei Dolman unter dem fthr beherzigenSwerthen Motto: Xs travs-
gisäiariz teirulnos guos poeuoivut pntiss tui, erschienen ist. Tasftlbe sührt
den Titel: „X tiestiso ou Lbsuosl Lcrssus suä Rooä I-olts", und enthält
viele Abbiidungen, namentlich auch solche von den so bcmerkenSwerthen Lett-
nern in der Marienkirche zu Lübcck und dem Dome zu Münster, welchen
letztereu Pugin besonderS wegcn der Schönheit seineS ChoreS anpreis't. ES
wäre sehr zu wünschen. daß das Pugin'sche Wsrk in Deutschland einen Bc-
arbeiter fände, zumal die Kunstwerke der fraglichen Äri so gar manchen An-
sechtungen auSgefttzt sind. Von den in den Nhernlanden noch zu unS her-
übergereitetcn Chorabschlüffen würden die in den Stiftskirchen zu Ober-
wesel und Panlen befinvlichen elne besondere Berückstchtigung verbienen.
Leider ist voc wenlg Jahren noch ein in dec malnzer MarttnSkirctie gewc-
senec Chorabschluß der Puristerei als Opftr gefallen. A. R.

Das wahre und das falsche Mittelalter.

(Aas dem Werke des Grafen Montalembert: Die Mönche deS
AbendlandeS.)

(Forifttzung, fiehe Nr. 215 d. Bl.j

DaS Mttelalter hat daS unersreuliche Geschick, zwischcn zwei durckauS
seindliche Lager gcstellt zu sein, die nur in der Verkennung seineS Weftns
übereinstimmen. Die Einen haffen cs, weil sie giauben, eS sei aller Freiheit
feind; die Anderen rühmen eS und suchen bei ihm nach Argumenien und

^) Jn einem zweiten, zu glcichem Zwecke gehalienen Vocirage: „Ueber die
Goihik im Mittelalter und in dec Gegenwart", hat mittterweile Herr
I>. Rcichensperger die obigen allgemeinen ' Andeutungen über das
Wesen der mi-.telalierlichen Kunst näher eniwickeit und begründet.

geeigneten Beispielen zur Rechtfertigung der allgemeinen Unterwürfigkeit, der
ste daS Woct reden. Beiöe wirken zusammen zu'ftiner Mtßachtung und Ent-
stellung, jene durch thre erbitterten Jnvectioen, Lieft ducch ihr Lob.

Jch behaupte, daß die Sincn wte die Anveren im Jrrthume find und
daß sie gleicher Wetft daS Wesen dcS MiitelalterS verkennen, welcheS eine
Epoche deS GlaubenS war, aber auch eine Z-it dcS KampftS, dec freien
Ecöcrerung, der Würde, und vor Allem der Freiheit.

Dsc gemeinschastiiche Jcrihum jener B-wunderer und der Verleumder
des Miiteialierg bssteht darin, daß Beide in demftlbsn den Tciumph der
Theokratie sehen wollen. ES war, so wird unS gesagt, eine ewig denkwür-
dige Zeit durch daS Offsnbarwerden der menschttchen Ohnmacht und durch
die ruhmreichs Dictatur der Kirche.

Jch läugne die Dietatur, ich läugne noch cntschiedener die menschliche
Ohnmacht.

Die Mcnschheit wac zu keiner Zcit sruchtbarer, männlicher, mächtiger;
und waS die Kirche bsirifft, so war damais ihre Auiorilät am häufigsten
thatsächlich eben von denen angefochten, die sie Iheoreiisch am bereitMilligsten
anerkannten.

WaS damalS herrschte, war die Einheit deS GlaubsnS, so wis man heu-
tigen Tages unier allen modcrnen Völkern die Elnhett deZ bürgerlichen Ge-
setzeS, der nationalen Versassung herrschen sieht. Aber bet den freien Vötkern,
wie in England oder in den Vereinigten Staaten, wo gewahrt man da, daß
dieft bürgsrliche und geftllschastlichs Einheit der freicn "LcbenSentfaltung, der
Thaikcaft, der pecsönlichen und corporatioen Unabhängigkett Eintrag ihut?
Aehnlich verhtelt eS sich mit der kalhoiischen Einhcit dcs Mittelalterg: nic-
gsndS erstickte dieftibe weder dag politische, noch daS geistige Leben. Die
Gleichförmigkeit eineS allgemeinen voikSthümlichen CultuS, die innige und
ausiichtige llnterwerfung der Herzen und der Geister untsr die geoffenbarten
Wahrheiten und die Lshren der Kirche schlossen keinertei fruchibare Thätig-
keit dlS VerstandeS, keinerlei Erörterung der höchsten und schwierigsten Fra-
gen der Philosophie und der Moral auS. DaS Princlp der Autocitäi ver-
langte keinen Bcuch weder mit dem frsien GeniuS deS AlierihumS, dsr, wie
wir zeigen werdsn, in den Benedictiner-Zellen eine so treue, so begcisterte
Pflege fand, noch mit der natürtichen und fortschreilenden Entwicktmig des
menschlichen GetsteS. Jst eS nöthig, hier an die mächtige Entfalmng der
Schotasttk zu erinnern, dieser zugieich so deiben und so subtiten geistigcn
Gymnastik, welche, ungeachtet ihrer unbestreitbaren Lücken, dennoch für die
geistige Kcastentwicklung und die Verstandesübung so zweckmäßig ist? Jst eg
nöthig, jene gcoßen, jene zahlreichen, jene mächligen Universitäten auszuzäh-
len, die so voll Lebsn und Fceiheit, manchmal sogar rebellisch erscheinen, wo
dte Lehrer, deren llnabhängigkeir nuc derjenigen der feucigen, ungestümen
UniversitätS-Zugend gleichkommt, beständig tausend Fcagen behandelkn, vor
deren Kühnheit die überängstiiche Orthodcrie unftree Tags erschrccken würdc?
Oder sollen wic an die Fceiheit, an dis Zügellostgkeit der damaligen Sa-
tirikec erinnern, die in der Volks- und Rnleipoesie, in den poetischen Eczäh-
lungen und Liedern, ja, sogar auch in den Blldwerken des CultuS des Rech-
teS der Kcitik und der Eröcterung biS zum Aeußersten sich bedienten?

Jn jenen auf so lächerliche Wcift verleumdeten Zstten waren die Geister
von einem vsrzehrenden Drange zum Handeln und zum Wisftn entflammt.
Der gleiche herotsche und beharrliche Eifer, welcher die Marco Polo und die
Plancarpin b>S an dis äußerstsn Enden dsc bekannten Welt, durch Ecdstriche
und durch Gefahren hinführte, von denen unftre Zeitgenosftn kaum noch
einen Begriff haben, belebie auch die nicht minder unerschrockenen Forscher
im Reiche der Gedanken. Der menschüche Geist übts sich mit Geibert, mit
Scotus Ecigena an den schwierigsten und ftinsten Problemen; auch bci den
Octhodoxesten, ber einem heitigen Anselm, einem Thomag von Aguin, schreckle
er vor keiner Schwierigkeit der Psychologie odec der Metaphysik zurück. Bei
Einzelnen verirrts er sich zu dcn vsrwegensten, mit dem Geiste der Kirche
und d-s EoangeliumS unverträgltchsten'Theftn; Niemano aber, man darf eS
kühn bchaupten, wollie der Vernunft entsagen odec dieftlbe auch nur zum
Schlafe verurtheileu lassen.

Gehen wir weiter und fragen wir, ob eS denn heutigen TageS, ungs-
achtet Lec Buchdcuckerkunst, ungeachtet der glückticben, abcc ungenügenden
Fonschritts dcr VolkSerziehung, ungeachtet dec anscheinenden Volksihümlich-
keit dcr Wissenschafien und Künste, wirktich so ausgemacht ist, daß eS um
daS nothwendige Gleichgewicht zwischen den mateciellen Bestrebungen und
dem moralischen Lcben vec Welt eben so gut bestellt fti, als damals. Fcagen
wir unS, ob daS geistige Element dec Menschennalur, der Cull deg Gedan-
keng, dte stttliche Begeisterung, ob alleS dasjenige, woiin daS edlere Le-
ben in dec Gedankmwelt bestehi, jetzt bei unS so gut vertreten, so kcaflvoll
entwickelt, so übecreich vorhanden ist, alS cS bei unftren Vorvätern der Fall
war. Jch meinsStheils eclaube mir, daran zu zweiftin; ich giaube, daß, AtleS
wohl erwogen, AlleS sorgfäitig verglichen, daS Eebiel deS Seelen- und deS
GeisteslebenS nicmals mit mehr Begeistecung cultivirt worden sei, ats im
Mittelalter,

AllerdingS beherrschts die Rcligion AlleS, nichis aber ward von ihr er-
stickt. Sie war nicht in irgend einen Winkel der Eesellschast verwieftn odec
eingemaueri in das Jnnece der Tempel oder das Bewußiftin deS Einzelnen.
Sie ward im Gegeittheil herbeigkzogen, um Alles zu vergeistigen, AUes zu
beleuchtcn, AlleS mit dem Getste beS Lebens zu durchdringen; und wenn fie
die Fundamente ihrcS Baues auf einen unerscpültertichen Grund gelegt hatte,
so schmückte ihre mütteriiche Hand noch ftine Gicbel mit dcm Kcanze ihcec
lichlen Schönheit. Niemand erachtete sich zu hoch gestellt, um ihr nicht zu
aehocchen, und Keiner sftl so tief, dah er außerhatb deS BereicheS ihrer
Tröstungen und ihrcS SchutzeS gekommen wäre. Vom Könige herab biszum
einsamen Waldbcuder fühlten AÜe zu Zeiten die Herrschast ihrcc reinen und
edcln Eingkbungen. Der Gssanke an die Erlösuna, an die Schuld, die der
auf Golgatha erlöste Mensch seinem Gotte abzutragen hat, wac AÜem bei-
gemischt, er fand sich >n allsn Jnstiiuttoiien, tn allen Denkinäleln und zeitweift
in allen Seelen, Der Sieg der Nächstkiiliebe über die seibstjucht, dec De-
muth über den Hochmuth, drS GeisteS über eie Materie, allrS Hoheren in
unftrer Natur übec das, waS UnedlsS und UnrcincS in ihr ist, war damalS
so häufig, a!S cS bei dec menschlichen Schwachheit nuc immec mögüch ist.
Nie war dieftr Sieg hienieden rollständig; aber, man darf eS kühn behaup-
ten, uie ist er der VoUständigkeit näher geweftn. Seit jener großen HerauS-
soroerung dcg erstehenden Christsnthums gegen die sftgreiche Gewalt deS
Böftn auf Erden ist nicmalS viclleicht LaS dämorrische Reich stärker erschüt-
tect und energischer bekämpft worden.
 
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