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Saint-Cloud

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das als einmalige Zahlung die damals anstehende Möblierung
und Dekoration des Corps-de-Logis ermöglichte.10

Das Spannungsverhältnis von unbedingter Unterordnung
unter den königlichen Bruder bei deutlich spürbarer finanziel-
ler Abhängigkeit einerseits, und Wahrnehmung von Aufgaben
im Bereich der repräsentativen Lebensführung andererseits
zeigen die Memorialisten des 17. Jahrhunderts am Persönlich-
keitsbild des Prinzen.11 Diesen Berichten wird hier kein beson-
deres Gewicht zukommen. Es soll vielmehr in einem möglichst
exakten »Parallele« gezeigt werden, wie Versailles und St.
Cloud in einer steten gegenseitigen Anregung zu großen Land-
häusern ausgebaut wurden.

Dem Vergleich sind allerdings enge Grenzen gesetzt. St.
Cloud, das 1785 in den Besitz der Krone gelangte, aufgrund
seiner günstigen Lage zur Stadt und der vergleichsweise ge-
ringen symbolischen Belastung als Herrschersitz des Ancien
Regime zur Residenz Napoleons I. erhoben wurde, wurde als
Residenz Napoleons III. während der Belagerung von Paris
1870 von deutschen Truppen in Brand gesetzt. Die Ruinen
wurden während der Zweiten Republik abgerissen.12 Nur
wenige Photographien überliefern den Zustand vor dem voll-
ständigen Verlust des Gebäudes.13 Die Rechnungsbücher Mon-
sieurs sind nicht erhalten, frühe Pläne von St. Cloud fehlen fast
vollständig. Während aus Berichten von Besuchern wenigstens
die Geschichte des Gartens erschlossen werden kann, bleibt die
des Baus selbst weitgehend unklar. Die umfangreichen Serien
der Dekoration in den Interieurs sind in ihren Themen einiger-
maßen bekannt; doch nicht einmal Mignards Apollogalerie
wurde vollständig in Radierungen publiziert, eine Folge der
mit allen Mitteln ausgetragenen Konkurrenz zwischen dem
Maler Monsieurs und dem Premier Peintre du Roi Le Brun.14 In
vielen Einzelfragen kann also der detaillierten Kenntnis der
Versailler Entwicklung nur ein verschwommenes Bild der
Geschichte von St. Cloud entgegengestellt werden. Ein Ver-
such, die Baugeschichte von St. Cloud in den Jahren zwischen
!Ö55 und 1701, Monsieurs Tod, zu schreiben, führt also zu
einem Luftschloß aus Hypothesen. Er sei hier aber dennoch
unternommen, um wenigstens verschiedene Zustände des Baus
voneinander zu trennen und die Umwandlung des kleinen
Landhauses im Garten zur repräsentativ auf den Fluß ausge-
richteten Dreiflügelanlage zu klären.15

Es gibt dabei nur fünf Fixpunkte: die ausführliche Beschrei-
bung von Schloß und Garten durch Madeleine de Scudery
1667;16 den Gartenplan mit Grundriß des Schlosses von 1669,
der eine einflügelige Anlage mit Nebengebäuden abbildet;17
(Abb. 87) die auf 1671 datierte Vedute Israel Silvestres, die mit
diesem Plan im wesentlichen übereinstimmt; (Abb. 88) einen
Vertrag über den Bau des Corps-de-Logis, der das Ende der
Arbeiten auf 1677 festsetzt;18 eine Notiz vom Besuch des
schwedischen Architekten Nikodemus Tessin, als 1687 die
Haupttreppe umgebaut wurde.19 Drei Architekten werden mit
den Arbeiten in St. Cloud in Verbindung gebracht: Antoine Le
Pautre, Monsieurs Hausarchitekt, der spätestens 1665 in St.

Cloud an der Kaskade tätig war; der von ihm beschäftigte En-
trepreneur Jean Girard; Jules Hardouin-Mansart, damals Archi-
tecte du Roi, der 1687 den Umbau leitete.20

Bereits der Zustand der Domäne im Jahre 1658, zum Zeit-
punkt des Erwerbs durch Philippe d'Orleans ist schlecht
überliefert. Barthelemy Hervart hatte St. Cloud erst drei Jahre
zuvor von den Erben des Pariser Erzbischofs Jean-Francois de
Gondi gekauft.21 Die Gebäude, die Hervart übernahm, sind in
Veduten von Israel Silvestre abgebildet: Es handelte sich um
eine zweiflügelige Anlage, vielleicht noch das 1572 von Ka-
tharina Medici errichtete Lusthaus, das auf ein Parterre an der
Südseite des Gebäudes ausgerichtet war, sowie einige Neben-
gebäude.22 Gölnitz, Brackenhoffer und Evelyn, die St. Cloud
vor der Mitte des 17. Jahrhunderts besuchten, beschreiben das
italianisierend bunt bemalte Hauptgebäude mit seinen bron-
zierten Stuckreliefs, auf denen Charles IX, Henri III, Henri IV
und Louis XIII zu Pferde dargestellt waren. Sie nennen die
Volieren, Brunnen und die Loggia mit ihren Fresken, aus der
man über den Fluß in Richtung Paris blickte. Sie erwähnen die
Statuen, Brunnenanlagen und Grotten, von denen nur der
»Grand Jet« und ein Pavillon mit einer den steilen Hang hinun-
terführenden Wassertrepppe bei der Neuanlage des Gartens
unter Monsieur erhalten blieben.23

Hervart hatte St. Cloud 1655 für 72 000 livres gekauft, beim
Verkauf 1658 erhielt er 331548 livres.24 Die Vervierfachung
des Werts innerhalb von nur drei Jahren läßt auf umfangreiche
Baumaßnahmen und Landzukäufe schließen. Der wesent-
lich spätere Gartenplan (1669, Abb. 87) zeigt anstelle der Mai-
son de Gondi einen breiten Baublock mit symmetrischer
Raumaufteilung um ein zentrales Treppenhaus, dazu nach
Westen einige Anbauten, darunter die vielleicht 1667, also
unter Monsieur entstandene Kapelle.25 Es ist wahrscheinlich,
daß Hervart das zierliche Lustgebäude des späten 16. Jahrhun-
derts zu einem repräsentativen Haus ausbauen ließ, wobei er
unter der Elite der »Neureichen«, der Financiers und Bankiers
Longueil (Maisons), Hesselin (St. Sepulchre), Servien
(Meudon) und Fouquet (Vaux-le-Vicomte), vergleichsweise
bescheiden blieb.26

Wie sein Bruder in Versailles bemühte Philippe d'Orleans
sich zunächst um die Verschönerung des Gartens, wobei St.
Cloud Versailles die Hanglage und reichlicher fließendes Was-
ser voraushatte. Zu dem unterhalb des Schlosses gelegenen
Grottenpavillon und dem Bassin des >Grand Jet< ließ Monsieur
durch Antoine Le Pautre eine weitere große Kaskade zufügen.
(Abb. 88) Sie war 1665 vollendet, als Bernini St. Cloud mehr-
mals besuchte, die Wasserspiele als zu kleinteilig (»Nonnenar-
beit«) und zu künstlich kritisierte und ein (nicht befolgtes)
Gegenprojekt zeichnete.27

Wie Silvestres Vedute von 1671 zeigt, öffnete sich St. Cloud
nur über diese große Kaskade zum Fluß. In einer breiten
Schneise bahnte sich das Wasser auf der kunstfertigen Treppe
einen Weg zu den mit jungen Bäumen neu angepflanzten Quin-
quonces, so daß sich die künstliche Landschaft des Gartens mit
 
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