Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
j. »Sans aucun goüt«?

Financiers in Stains, Champs und Montmorency,

der Dauphin in Meudon

Als Boffrand sich 1734 eine »architecture civile« wünschte,
die Eigenschaften der »architecture publique« aufwiese, gab es
in den Provinzen bereits aufwendige Großbauten, die adlige
Bauherren auf dem Lande hatten errichten lassen.1 Die Pariser
Architekten hatten sich zudem mit Aufträgen für ausländische
Fürsten Verdienstmöglichkeiten und weitreichenden Ruhm
schaffen können.2 Dies bot einen gewissen Ausgleich für den
nahezu vollständigen Ausfall von Aufträgen des Königs im
ersten Drittel des neuen Jahrhunderts. Das Gebiet um Paris und
Versailles blieb während dieser Zeit Geltungsbereich der stabi-
len Bauhierarchie, die sich um 1660-1685 in den Bätiments
du Roi und den höfischen Zirkeln herausgebildet hatte. Aus
dieser Rangfolge scherten Architekten und Bauherren, gleich
ob sie sich durch Geld oder Adel auszeichneten, nur in weni-
gen, darum aber besonders spektakulären Fällen aus. Die
großen, nach dem Frieden von Rijswijk (1697) neu erbauten
Landhäuser kennzeichnet daher - wie die Kleinbauten der
»Marchands-Bourgeois« - ein geringes Maß an Inventionen.
Im Unterschied zu diesen »Villen«, bei denen sich der Zwang
zur Ökonomie typenbildend auswirkte, war aber innerhalb des
Grundschemas - des zweigeschossigen, französisch-steil über-
dachten Baus mit kurzen Flügeln zum Hof - in Distribution,
Massengliederung und Fassadendekoration eine größere Viel-
falt möglich.

Stains

Ein gut dokumentiertes Beispiel ist Stains, das durch seine
Lage in der landschaftlich wenig attraktiven Ebene von Saint-
Denis, zudem weitab von den höfischen Zentren, kaum zum
Sitz einer Maison de plaisance prädestiniert war. (Abb. 13) Die
Seigneurie Stains war alter Besitz von Parlementaires, wurde
im späten 17. Jahrhundert zur Kapitalanlage eines Financier,
schließlich des Leibchirurgen Ludwigs XIV, bis sie der Treso-
rier general de Sceau Toussaint Bellanger am 13.5.1714 zum
günstigen Preis von 190000 livres erwarb.3 Noch im selben
Jahr erreichte Bellanger die Rangerhöhung der Herrschaft zur
»Chätelennie«.4 Bellanger hatte sein einträgliches, aber auch
teures Amt erst vier Jahre zuvor erworben und seine Kanzlei
als Notar am Pariser Chätelet, zu deren Klienten Bruder und
Neffe Ludwigs XIV zählten, verkauft. Wie er zu seinen »gros
biens« kam, ist nicht untersucht.5

Stains besaß mit Privilegien und Lasten die traditionellen
Merkmale einer Grundherrschaft. Sie wurden durch die iso-

lierte Lage des Ortes verstärkt und verliehen Bellangers Villeg-
giatur einen anderen Charakter als den Kolonien von Maisons
de plaisance im Süden von Paris. 1714 erreichte man das
Schloß von Süden her über eine Allee, die durch Felder und den
Nutzgarten führte. Ein Wassergraben schloß den Ehrenhof
nach vorn ab. Das Corps-de-Logis grenzte mit seiner Rückseite
an die »Grand'rue« des Dorfs; der Ziergarten hatte daher als
schmaler Streifen auf der Seite, entlang der Dorfstraße, an-
gelegt werden müssen. Er umfaßte ein Broderieparterre und
ein langes Wasserbecken. Nur die Bosketts, künstlich ange-
legte Wäldchen mit Wegsternen, erweiterten die ummauerte
Domäne nach Süden, ins offene Land.6

Zum Besitz gehörten zwei Bauernhöfe, die etwa 500 arpens
Ackerland und Wiesen bewirtschafteten, zwei Waldstücke im
Norden des Ortes, Straßen und Wege mit Obstbaum- und
Ulmenalleen, zwei Mühlen - am Ausfluß des Kanals und am
Rouillon -, der Taubenschlag - als Privileg des Seigneur - und
die Weinkelter, die in der Basse-Cour stand und auf die Abga-
ben erhoben wurden, Zoll auf das Salz, das Jagdrecht im Gebiet
der Pfarrei, die Fischerei im Rouillon, die niedere, mittlere und
hohe Gerichtsbarkeit, das Patronat über die Kirche, Unterhalt
der Niederlassung von »Srjeurs de Charite ... pour le soin des
malades et Finstruction des jeunes filles de la paroisse« sowie
der Pfründe des Kaplans, der die Messe im Schloß zu lesen
hatte.7

Die Gebäude waren in schlechtem Zustand8 und das Corps-
de-Logis konnte in seiner Position unmittelbar an der Dorf-
straße den neuen Ansprüchen an ländliche Muße nicht genü-
gen. Der dörfliche Betrieb störte die Ruhe des »Chätelain«,
und das Schloß besaß zudem keine ausgeprägte Gartenseite.
Bellanger ließ daher vermutlich bald nach dem Kauf einen
Neubau inmitten des ebenfalls neu angelegten Gartens errich-
ten; das alte Schloß wurde in Teilen in die Basse-Cour einge-
gliedert.

Als Architekten des Neubaus nennen die Stiche in Mariettes
>Architecture francoise< Armand-Claude Mollet. Er zählte seit
wenigstens 1698 mit seiner ganzen Familie zu den Kunden von
Bellangers Notariat.9 Bei der Wahl des Architekten mag also
der Zufall der Bekanntschaft den Ausschlag gegeben haben.
Als günstig erwies sich darüberhinaus, daß Mollet, dem erst
während der Regence eine Karriere als unabhängiger Baumei-
ster gelingen sollte,10 vorwiegend als Gartenarchitekt arbeitete
und der Entwurf für die Neuanlage von Stains somit aus einer
Hand kam.

Garten und Park wurden erheblich vergrößert und nach
 
Annotationen