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4. Maßhalten.
Eine Ministertugend in Sceaux, Meudon und Villeneuve-Ie-Roi

Die Minister Ludwigs XIV. konnten ihren Wunsch nach einem
zeitweiligen Leben auf dem Land nur unter großen Schwierig-
keiten verwirklichen. Der 1661 nach Mazarins Tod neu geord-
nete Wochenplan der Ratssitzungen machten ihre ständige
Anwesenheit am Hof- mit seinen wechselnden Aufenthaltsor-
ten - unerläßlich. Zudem sahen sich die Minister ganz beson-
ders der Gefahr von Kritik seitens des Königs sowie der höfi-
schen und außerhöfischen Öffentlichkeit ausgesetzt. Zu leicht
konnte man sie mit einer anderen Gruppe von Staatsdienern,
den Steuerpächtern, verwechseln. Diese unterstanden der Kon-
trolle des Surintendant des f inances, dem allerdings, wie den
Finanzleuten selbst, Mißbrauch des fiskalischen Systems vor-
geworfen wurde. Der reichhaltigen Publizistik der Frondezeit
zufolge hatten die Finanzleute, die Oberintendanten und der
Premier Ministre Mazarin drei Dinge gemeinsam: Sie ent-
stammten der »lie du peuple«, hatten sich auf Kosten des Volks
und damit des Königs bereichert und besaßen dazu noch die
Unverschämtheit, dies »par la somptuosite de leurs festins, le
luxe de leur train et leurs meubles, la magnificence de leurs
bastimens« öffentlich kundzutun.1 Damit war die Forderung
nach Bienseance erhoben. War es einem Parvenü, wie man -
ohne genauere Unterscheidung - alle am Finanzwesen Betei-
ligten klassifizierte, erlaubt, in seiner Lebensweise und ihrem
architektonischen Rahmen den Adel und sogar den König zu
übertreffen? Diese Frage wurde in den 50er Jahren des 17.
Jahrhunderts nicht vom, sondern für den König bzw. die
Regentin gestellt:

»Si les Epargnes sont vuides, que ne les remplit on dans l'abon-
dance des partisans qui se sont enrichis du bien du peuple et du
Roy, si le Louvre n'est pas acheve par 1'impuissance que l'on a de
fournir aux depenses ... que ne fait on demolir ces süperbes Hostels
des voleurs publics pour mettre la derniere main ä cette bastisse
Royale?«2

Eine Antwort gab Ludwig XIV, so mußte es scheinen, als er
den Surintendant Nicolas Fouquet verhaften ließ, nicht lange
nach dem spektakulären Fest, das ihm Fouquet im August 1661
in seinem neuen Landhaus Vaux-le-Vicomte gegeben hatte.
Die »somptuosite« dieses Festes und die »magnificence« des
Schlosses waren indes nicht der Anlaß für den Sturz des Obe-
rintendanten, und Vaux-le-Vicomte unterschied sich im Auf-
wand nur wenig von den Bauten anderer Finanzleute. Nur
durch die Verknüpfung mit dem Los seines Besitzers konnte
das Schloß zum moralisierenden Exempel werden und potenti-
ellen Bauherrn anzeigen, was es zu vermeiden galt, wollte man
nicht wie Fouquet das Maß des Zulässigen zu eigenem Scha-
den überschreiten.

Vaux-le-Vicomte3 (Abb. 136-139) lag zwar in der Nähe des
königlichen Schlosses Fontainebleau, es war aber als »etablis-
sement principal«4 eines Ratsmitglieds von den anderen höfi-
schen Zentren, damals Paris und Saint-Germain-en-Laye, wei-
ter entfernt als es gut scheinen konnte. Es gab keinen Vörgän-
gerbau am selben Platz. Schloß und Garten entstanden in nur
etwa fünf Jahren Bauzeit; in einem Tempo also, das von da an
zum Kennzeichen der königlichen Bauprojekte werden sollte.
Das System der Höfe wurde gegenüber den Erfindungen
Lemerciers in Richelieu (Abb. 18) und Francois Mansarts in
Maisons nicht verbesssert; diese Beispiele aufwendigen Bau-
ens übertraf Andre Le Nötre in Vaux jedoch durch die Ausdeh-
nung des Ziergartens und die Konsequenz, mit der der Park
durch Wege in die Landschaft ausgedehnt wurde.5

Mit dem Hauptgebäude gelang Louis Le Vau eine neuartige
Version innerhalb der Bauaufgabe der Maison de campagne,
wobei er auf Erfahrungen in Le Raincy und den wahrscheinlich
kurz zuvor begonnenen Umbau von Meudon zurückgreifen
konnte.6 In Vaux-le-Vicomte wurden Eigenschaften fester
Schlösser zu bloßen Reminiszenzen: Ein Wassergraben umgibt
das Schloß, aber der Hof ist nach vorne offen und wird von Ter-
rassen, anstelle von Flügelbauten eingefaßt. Die vier steil über-
dachten Pavillons an den Ecken erinnern an Türme. Sie drän-
gen sich um das Corps-de-Logis, das mit der eingeschossigen,
rustizierten, dorischen Ädikula zum Hof vergleichsweise
schwach artikuliert ist und das eingeschossige Vestibül enthält.
Auf der Gartenseite dagegen schiebt sich der Saal auf querova-
lem Grundriß unter der mächtigen, von einer Laterne bekrön-
ten Kuppel deutlich hervor. Er macht auf den Hauptzweck des
Schlosses, zum festlichen Aufenthalt zu dienen, aufmerksam.
Als doppelgeschossig wird er durch eine entsprechende Ädi-
kula nach außen angezeigt. Vestibül und Salon öffnen sich zum
Hof, zum Garten und zueinander in drei axial aufgereihten
Arkaden mit Fenstertüren. Das Corps-de-Logis ist also in der
Hauptachse durchsichtig. Aus dem Hof geht der Blick in den
Garten - und umgekehrt, und dieser Effekt wird von Madeleine
de Scudery beschrieben und von Israel Silvestre dargestellt.7
(Abb. 136)

Der Salon ist in seinen Ausmaßen und mit dem Projekt sei-
ner Ausmalung durch ein einziges, nicht in Einzelbilder unter-
teiltes Gemälde von Charles Le Brun (Abb. 161) der aufwen-
digste, je in Frankreich errichtete »italienische« Saal. Francois
Blondel sollte als Professor der Academie de l'architecture
ausländische Sitten und Bauformen in einen kausalen Zusam-
menhang bringen. Während man sich früher in Frankreich mit
Salle, Antichambre, Chambre de parade, Chambre ä coucher
 
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