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Schluß
antiker Baukunst für die eigenen Projekte nutzbar zu machen.
Den Traditionen des Vitruvianismus zufolge blieben hier die
Säulenordnungen im Mittelpunkt des Interesses. Zu Aufriß-
schemata zusammengestellt, wurden sie zum Merkmal der
Königsbauten: Die über einem hohen, als Sockel dienenden
Erdgeschoß aufgerichtete große Ordnung - das Schema des
Louvre - und die Abfolge von Sockelgeschoß, mit Säulen und
Pilastern geschmückter Beletage und Attika - das Schema der
Versailler Gartenfassade'- waren von nun an für die Gebäude
des Königs reserviert. Sogar Monsieur, der Bruder Ludwigs
XIV., sollte sie in seinem eigenen Landsitz in St. Cloud nur an
der Gästewohnung für den König verwenden.
Da für lange Zeit Ordnungen an Bauten der Privatleute nur
zum Schmuck der Porte cochere, der Portale und für die Avant-
Corps verwendet wurden, konnten die Architekten derartige
Erfahrungen aus den Bauten Ludwigs XIV. kaum umsetzen.
Anders stand es mit den Anstrengungen, die selbstverständlich
nie konsequent durchgeführte Trennung der Stockwerke nach
ihren Nutzungen - Funktions- und Repräsentationsräume im
Erdgeschoß, Wohnräume in der Beletage, Zimmer für den
Rückzug ins Private, für Gäste und das Personal im Oberge-
schoß - an der Fassade abzubilden. Die Systematik von Fen-
sterformen und Geschoßhöhen wurde am Louvre und in Ver-
sailles in ihrer Wirkung durch den Gebrauch der Ordnungen
unterstützt, bedurfte ihrer aber nicht. Damit schien ein Weg
gefunden, die Architektur, die die Anforderungen des hierar-
chisch gegliederten Bauens in Konkurrenz zur Malerei und
Bildhauerei erfüllen mußte, zur darstellenden Kunst weiterzu-
entwickeln. Anwendungsmöglichkeiten boten sich dennoch in
den ersten Bauten, die Prinzen und Minister - Monsieur in St.
Cloud, Colbert in Sceaux - errichteten, nur wenig. Princes du
Sang und Minister standen zum einen unter dem Eindruck des
negativen Beispiels Vaux, erlagen zum anderen der Versu-
chung zur höfischen Konkurrenz. Die Bescheidenheit ihrer
Bauten, die aus älteren Anlagen hervorgingen, wurde durch
Aufwand in den Gärten kompensiert; vor den Augen des
Königs schien eine Rechtfertigung der ländlichen Muße und
ihres prächtig ausgestatteten Ortes notwendig. Dazu wurden,
da man den Leistungen der Architekten nicht traute, geeignete
Werke der Malerei und Skulptur, besonders Porträts Ludwigs
XIV, herangezogen.
Es blieb daher den Aufträgen der »Particuliers« aus der
Stadt vorbehalten, ab den 8oer Jahren die Architekten in ihren
Projekten für standesgemäße Landhäuser dazu herauszu-
fordern, die Erfahrungen aus den Bätiments du Roi zu nutzen:
Zum darstellenden Funktionalismus der Bauformen kam der
souveräne Umgang mit Vorbildern, so daß der Rückgriff auf
die italienische Villa des 16. Jahrhunderts die Bildung eines
vielseitig verwendbaren Bautypus ermöglichte. Bisher war
die Maison de plaisance ganz aus ihrer Nutzung - zum »plai-
sir« - bestimmt; auch aus diesem Grund mußte im Einzelfall
die Ausstattung dafür sorgen, daß eine traditionelle Dreiflü-
gelanlage nicht in den Verdacht des »prof it« geriet. In den Bau-
ten von u. a. Issy, Vanves und Chätillon fielen Bauaufgabe und
Bautypus in eins. Obwohl die Architekturtheorie des 18. Jahr-
hunderts den Begriff der Maison de plaisance nie auf die fran-
zösische »Villa« mit ihrem geschlossenen Baublock ein-
grenzte, dürfte den Zeitgenossen aufgefallen sein, mit welcher
Klarheit diese Bauform eine Aussage über die Nutzung traf; es
konnte daher auf Kommentare durch Ausstattungsstücke ver-
zichtet werden. Im Gegensatz zu den großen Anlagen war mit
diesem neuartigen Gebäude die »seigneurie« über den Stand-
ort selten verbunden, die Grundstücke waren klein, reichten
gerade für den Ziergarten mit Parterre und Bosketts, als Park
mußte die offene Landschaft herhalten. Paradeappartements
für hochgestellte Gäste konnten in den kleinen Gebäuden
nicht eingerichtet werden. Der Rückzug ins Private, nicht die
Darstellung der eigenen sozialen Position in aufwendigen
Festen, der Genuß der gezähmten Natur, nicht das Interesse
an ökonomischem Gewinn aus der Landwirtschaft, waren in
diesen Maisons de plaisance die einzig mögliche Form der
Nutzung.
Bis hierhin reichte der Einfluß der Königsarchitektur als
Schule der Architekten und nicht anzutastender Maßstab. Als
in den Friedensjahren 1699/1700 die Baukonjunktur wieder
einsetzte, mehrten sich die Anzeichen, daß die zentrale Kon-
trollinstanz an Macht eingebüßt hatte. An ihrer Stelle übernah-
men höfische und städtische Zirkel unter dem Schlagwort des
»bongout« die Regulierung des Bauens auf dem Lande, wobei
sie die bisher geltenden Grundsätze beibehielten. Sichtbar
wurde dies vor allem an den Reaktionen auf die Bauten der
Finanzleute, die auf die von ihren Vorgängern um 1640/60 ent-
wickelten Modelle anspruchsvollen Bauens zurückgriffen. Auf
dem Land, in der Maison de plaisance, Reichtum ungeniert zur
Schau zu stellen, scheint wieder ungefährdet möglich gewesen
zu sein, freilich auf Kosten der Akzeptanz durch die stil-
bildenden Kreise. Mit der dezidierten Entscheidung für eine
nicht mehr zeitgemäße Repräsentationsarchitektur stellten sich
die Financiers außerhalb der vom »goüt« geregelten Formen
des gesellschaftlichen Umgangs. Bereits in Vaux-le-Vicomte
und Meudon z. B. waren die doppelgeschossigen Salons ä l'ita-
lienne nur selten benutzt worden; im Montmorency Crozats,
der für seine kleinen Abendgesellschaften mit Kammermusik
berühmt war, wurde ein derartiger zweckfreier Raum mehr als
je zuvor zum Zeichen von Überfluß: Er bot den Platz für das
große Deckengemälde von Charles de La Fosse, mit dem Maler
und Auftraggeber das Mäzenatentum der Finanzleute alten
Stils wiederbelebten.
Radikaler noch rührten einige Mitglieder der guten Ge-
sellschaft selbst an das von ihnen und den Architekten mühsam
aufrecht gehaltene Gefüge der Baukunst. Format von Grund-
stück und Bau sowie der »bürgerliche« Rechtsstatus ließen in
diesen Pavillons wie in den Villen der »Particuliers« keine
andere Nutzung als die zur Maison de plaisance zu. Der Ein-
fallsreichtum der Auftraggeber und der Architekten nährte sich
aus den Maisons de plaisance Ludwigs XIV, er widersprach
Schluß
antiker Baukunst für die eigenen Projekte nutzbar zu machen.
Den Traditionen des Vitruvianismus zufolge blieben hier die
Säulenordnungen im Mittelpunkt des Interesses. Zu Aufriß-
schemata zusammengestellt, wurden sie zum Merkmal der
Königsbauten: Die über einem hohen, als Sockel dienenden
Erdgeschoß aufgerichtete große Ordnung - das Schema des
Louvre - und die Abfolge von Sockelgeschoß, mit Säulen und
Pilastern geschmückter Beletage und Attika - das Schema der
Versailler Gartenfassade'- waren von nun an für die Gebäude
des Königs reserviert. Sogar Monsieur, der Bruder Ludwigs
XIV., sollte sie in seinem eigenen Landsitz in St. Cloud nur an
der Gästewohnung für den König verwenden.
Da für lange Zeit Ordnungen an Bauten der Privatleute nur
zum Schmuck der Porte cochere, der Portale und für die Avant-
Corps verwendet wurden, konnten die Architekten derartige
Erfahrungen aus den Bauten Ludwigs XIV. kaum umsetzen.
Anders stand es mit den Anstrengungen, die selbstverständlich
nie konsequent durchgeführte Trennung der Stockwerke nach
ihren Nutzungen - Funktions- und Repräsentationsräume im
Erdgeschoß, Wohnräume in der Beletage, Zimmer für den
Rückzug ins Private, für Gäste und das Personal im Oberge-
schoß - an der Fassade abzubilden. Die Systematik von Fen-
sterformen und Geschoßhöhen wurde am Louvre und in Ver-
sailles in ihrer Wirkung durch den Gebrauch der Ordnungen
unterstützt, bedurfte ihrer aber nicht. Damit schien ein Weg
gefunden, die Architektur, die die Anforderungen des hierar-
chisch gegliederten Bauens in Konkurrenz zur Malerei und
Bildhauerei erfüllen mußte, zur darstellenden Kunst weiterzu-
entwickeln. Anwendungsmöglichkeiten boten sich dennoch in
den ersten Bauten, die Prinzen und Minister - Monsieur in St.
Cloud, Colbert in Sceaux - errichteten, nur wenig. Princes du
Sang und Minister standen zum einen unter dem Eindruck des
negativen Beispiels Vaux, erlagen zum anderen der Versu-
chung zur höfischen Konkurrenz. Die Bescheidenheit ihrer
Bauten, die aus älteren Anlagen hervorgingen, wurde durch
Aufwand in den Gärten kompensiert; vor den Augen des
Königs schien eine Rechtfertigung der ländlichen Muße und
ihres prächtig ausgestatteten Ortes notwendig. Dazu wurden,
da man den Leistungen der Architekten nicht traute, geeignete
Werke der Malerei und Skulptur, besonders Porträts Ludwigs
XIV, herangezogen.
Es blieb daher den Aufträgen der »Particuliers« aus der
Stadt vorbehalten, ab den 8oer Jahren die Architekten in ihren
Projekten für standesgemäße Landhäuser dazu herauszu-
fordern, die Erfahrungen aus den Bätiments du Roi zu nutzen:
Zum darstellenden Funktionalismus der Bauformen kam der
souveräne Umgang mit Vorbildern, so daß der Rückgriff auf
die italienische Villa des 16. Jahrhunderts die Bildung eines
vielseitig verwendbaren Bautypus ermöglichte. Bisher war
die Maison de plaisance ganz aus ihrer Nutzung - zum »plai-
sir« - bestimmt; auch aus diesem Grund mußte im Einzelfall
die Ausstattung dafür sorgen, daß eine traditionelle Dreiflü-
gelanlage nicht in den Verdacht des »prof it« geriet. In den Bau-
ten von u. a. Issy, Vanves und Chätillon fielen Bauaufgabe und
Bautypus in eins. Obwohl die Architekturtheorie des 18. Jahr-
hunderts den Begriff der Maison de plaisance nie auf die fran-
zösische »Villa« mit ihrem geschlossenen Baublock ein-
grenzte, dürfte den Zeitgenossen aufgefallen sein, mit welcher
Klarheit diese Bauform eine Aussage über die Nutzung traf; es
konnte daher auf Kommentare durch Ausstattungsstücke ver-
zichtet werden. Im Gegensatz zu den großen Anlagen war mit
diesem neuartigen Gebäude die »seigneurie« über den Stand-
ort selten verbunden, die Grundstücke waren klein, reichten
gerade für den Ziergarten mit Parterre und Bosketts, als Park
mußte die offene Landschaft herhalten. Paradeappartements
für hochgestellte Gäste konnten in den kleinen Gebäuden
nicht eingerichtet werden. Der Rückzug ins Private, nicht die
Darstellung der eigenen sozialen Position in aufwendigen
Festen, der Genuß der gezähmten Natur, nicht das Interesse
an ökonomischem Gewinn aus der Landwirtschaft, waren in
diesen Maisons de plaisance die einzig mögliche Form der
Nutzung.
Bis hierhin reichte der Einfluß der Königsarchitektur als
Schule der Architekten und nicht anzutastender Maßstab. Als
in den Friedensjahren 1699/1700 die Baukonjunktur wieder
einsetzte, mehrten sich die Anzeichen, daß die zentrale Kon-
trollinstanz an Macht eingebüßt hatte. An ihrer Stelle übernah-
men höfische und städtische Zirkel unter dem Schlagwort des
»bongout« die Regulierung des Bauens auf dem Lande, wobei
sie die bisher geltenden Grundsätze beibehielten. Sichtbar
wurde dies vor allem an den Reaktionen auf die Bauten der
Finanzleute, die auf die von ihren Vorgängern um 1640/60 ent-
wickelten Modelle anspruchsvollen Bauens zurückgriffen. Auf
dem Land, in der Maison de plaisance, Reichtum ungeniert zur
Schau zu stellen, scheint wieder ungefährdet möglich gewesen
zu sein, freilich auf Kosten der Akzeptanz durch die stil-
bildenden Kreise. Mit der dezidierten Entscheidung für eine
nicht mehr zeitgemäße Repräsentationsarchitektur stellten sich
die Financiers außerhalb der vom »goüt« geregelten Formen
des gesellschaftlichen Umgangs. Bereits in Vaux-le-Vicomte
und Meudon z. B. waren die doppelgeschossigen Salons ä l'ita-
lienne nur selten benutzt worden; im Montmorency Crozats,
der für seine kleinen Abendgesellschaften mit Kammermusik
berühmt war, wurde ein derartiger zweckfreier Raum mehr als
je zuvor zum Zeichen von Überfluß: Er bot den Platz für das
große Deckengemälde von Charles de La Fosse, mit dem Maler
und Auftraggeber das Mäzenatentum der Finanzleute alten
Stils wiederbelebten.
Radikaler noch rührten einige Mitglieder der guten Ge-
sellschaft selbst an das von ihnen und den Architekten mühsam
aufrecht gehaltene Gefüge der Baukunst. Format von Grund-
stück und Bau sowie der »bürgerliche« Rechtsstatus ließen in
diesen Pavillons wie in den Villen der »Particuliers« keine
andere Nutzung als die zur Maison de plaisance zu. Der Ein-
fallsreichtum der Auftraggeber und der Architekten nährte sich
aus den Maisons de plaisance Ludwigs XIV, er widersprach