Einführung
„Zu keiner Zeit vielleicht war ein regerer Eifer für die vaterländische Geschichte
in Wirtemberg erwacht, als in der letzten Hälfte des sechzehnten und in den ersten
Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts. Man sammelte von allen Seiten her
Urkunden, Inschriften und geschichtliche Nachrichten, und durchsuchte die Archive
und Registraturen der Klöster und Städte auf's Eifrigste", schreibt der um die Lan-
desgeschichte hochverdiente Historiker Karl Pfaff 1831 in seinem kleinen Werk
„Die Quellen der älteren wirtembergischen Geschichte und die älteste Periode der
wirtembergischen Historiographie" (S. 21). Weiter sagt er (S. 9): „Beträchtlich muß
in ältern Zeiten die Zahl der Orts-, Geschlechts- und Familien-Chroniken gewesen
seyn, denn nicht nur war es zu jenen Zeiten allgemeine Sitte, dergleichen Chroniken
zu halten, sondern die Stadt- und Amtsschreiber hatten sogar die Verpflichtung,
Orts-Chroniken zu führen und darin alles Merkwürdige aufzuzeichnen, was in ihrer
Stadt und ihrem Amt geschah." Diese Welle der Geschichtsschreibung erfaßt auch
die Reichsstadt Reutlingen. Wir besitzen außer der weit älteren Welt-Chronik des
Hugo Spechtshart (1285—1360) aus der oben erwähnten Zeit in Reutlingen die
kurze Chronik von Camerer-Laubenberger (Original im RStA und hg. von Theo-
dor Schön in RGB 1893) die, „thails von weyland Christoph Laubenberger, gewe-
senen Organisten und collaborator in Schola Reitlingensi anno 1590, thails aber von
weyland Alexander Camerer seelig gewessten physico daselbsten zuesamen getra-
gen worden". Dieses kleine Werk ist die älteste Chronik über die Stadt Reutlingen
selbst. Ihr folgt 1603 eine Chronik von Melchior Weiß, die in der OABR II, S. 70
erwähnt wird, über deren gegenwärtigen Verbleib jedoch nichts in Erfahrung ge-
bracht werden konnte. Unmittelbar daran schließen in der Reihenfolge der Entste-
hung die Reimchronik des Schulmeisters Johann Fitzion (Original in der Stadt-
bibliothek Reutlingen, geschrieben zwischen 1623—1639) und das verlorengegan-
gene „Archivum Arcanorum . . . ed. 1633" des Bürgermeisters Matthäus Beger, aus
dem die letzte Reutlinger Chronik des 17. Jahrhunderts von Lorenz Hofstetter
(Original LandBibl. F 2) Auszüge wiedergibt.
In dieser Reihe der Reutlinger Historiographie nimmt die Reimchronik des deut-
schen Schulmeisters Johann Fitzion (Original in der Stadtbibliothek Reutlingen,
1862 veröffentlicht) eine bedeutende Stellung ein, vor allem als Quelle der Stadt-
geschichte im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Zusammen mit der etwas jüngeren
Chronik seines Amtsnachfolgers Lorenz Hofstetter, die den Rest des 17. Jahrhun-
derts umfaßt, ist sie Grundlage oder Hilfsmittel für die vielfältigsten stadtgeschicht-
lichen Forschungen der Vergangenheit wie der Gegenwart. Kaum beachtet wird von
den Benutzern dabei jedoch die Authentizität Fitzions, d. h. die Verwendung ande-
rer Quellen für sein Werk. Dabei überliefert Hofstetter auf der ersten Seite seiner
Chronik eine Bemerkung Matthäus Begers aus dessen verschollenem Werk „Archi-
vum Arcanorum Politicorum Reipublicae Reutlingensis 1633", Fitzions Chronik sei
aus einer deutschen Chronik Frischlins „zusammengeklaubt, augirt und amplificirt".
Diese Feststellung erwähnt Karl Friderich 1887 in einem Aufsatz über die Reutlin-
ger Schulverhältnisse zur Zeit der Reichsstadt, ließ es aber darauf beruhen. Erst der
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„Zu keiner Zeit vielleicht war ein regerer Eifer für die vaterländische Geschichte
in Wirtemberg erwacht, als in der letzten Hälfte des sechzehnten und in den ersten
Jahrzehnten des siebzehnten Jahrhunderts. Man sammelte von allen Seiten her
Urkunden, Inschriften und geschichtliche Nachrichten, und durchsuchte die Archive
und Registraturen der Klöster und Städte auf's Eifrigste", schreibt der um die Lan-
desgeschichte hochverdiente Historiker Karl Pfaff 1831 in seinem kleinen Werk
„Die Quellen der älteren wirtembergischen Geschichte und die älteste Periode der
wirtembergischen Historiographie" (S. 21). Weiter sagt er (S. 9): „Beträchtlich muß
in ältern Zeiten die Zahl der Orts-, Geschlechts- und Familien-Chroniken gewesen
seyn, denn nicht nur war es zu jenen Zeiten allgemeine Sitte, dergleichen Chroniken
zu halten, sondern die Stadt- und Amtsschreiber hatten sogar die Verpflichtung,
Orts-Chroniken zu führen und darin alles Merkwürdige aufzuzeichnen, was in ihrer
Stadt und ihrem Amt geschah." Diese Welle der Geschichtsschreibung erfaßt auch
die Reichsstadt Reutlingen. Wir besitzen außer der weit älteren Welt-Chronik des
Hugo Spechtshart (1285—1360) aus der oben erwähnten Zeit in Reutlingen die
kurze Chronik von Camerer-Laubenberger (Original im RStA und hg. von Theo-
dor Schön in RGB 1893) die, „thails von weyland Christoph Laubenberger, gewe-
senen Organisten und collaborator in Schola Reitlingensi anno 1590, thails aber von
weyland Alexander Camerer seelig gewessten physico daselbsten zuesamen getra-
gen worden". Dieses kleine Werk ist die älteste Chronik über die Stadt Reutlingen
selbst. Ihr folgt 1603 eine Chronik von Melchior Weiß, die in der OABR II, S. 70
erwähnt wird, über deren gegenwärtigen Verbleib jedoch nichts in Erfahrung ge-
bracht werden konnte. Unmittelbar daran schließen in der Reihenfolge der Entste-
hung die Reimchronik des Schulmeisters Johann Fitzion (Original in der Stadt-
bibliothek Reutlingen, geschrieben zwischen 1623—1639) und das verlorengegan-
gene „Archivum Arcanorum . . . ed. 1633" des Bürgermeisters Matthäus Beger, aus
dem die letzte Reutlinger Chronik des 17. Jahrhunderts von Lorenz Hofstetter
(Original LandBibl. F 2) Auszüge wiedergibt.
In dieser Reihe der Reutlinger Historiographie nimmt die Reimchronik des deut-
schen Schulmeisters Johann Fitzion (Original in der Stadtbibliothek Reutlingen,
1862 veröffentlicht) eine bedeutende Stellung ein, vor allem als Quelle der Stadt-
geschichte im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Zusammen mit der etwas jüngeren
Chronik seines Amtsnachfolgers Lorenz Hofstetter, die den Rest des 17. Jahrhun-
derts umfaßt, ist sie Grundlage oder Hilfsmittel für die vielfältigsten stadtgeschicht-
lichen Forschungen der Vergangenheit wie der Gegenwart. Kaum beachtet wird von
den Benutzern dabei jedoch die Authentizität Fitzions, d. h. die Verwendung ande-
rer Quellen für sein Werk. Dabei überliefert Hofstetter auf der ersten Seite seiner
Chronik eine Bemerkung Matthäus Begers aus dessen verschollenem Werk „Archi-
vum Arcanorum Politicorum Reipublicae Reutlingensis 1633", Fitzions Chronik sei
aus einer deutschen Chronik Frischlins „zusammengeklaubt, augirt und amplificirt".
Diese Feststellung erwähnt Karl Friderich 1887 in einem Aufsatz über die Reutlin-
ger Schulverhältnisse zur Zeit der Reichsstadt, ließ es aber darauf beruhen. Erst der
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