die Diskussion nicht wieder auf falsches Geleise gerate. Wie findet man die
immanenten Kriterien zur Beurteilung der römischen Kunst? Die Wissen-
schaft kennt mehrere Verfahren, die spezifische Eigenart, den besonderen
Charakter eines historischen Phänomens klarzulegen; das in der Regel be-
folgte ist, durch stilistische Vergleiche mit dem nächstverwandten Phänomen
die bezeichnendsten Unterschiede herauszuanalysieren, um dadurch zu einer
scharfen Einstellung auf das in Frage stehende Objekt zu gelangen 15). Man
wird also römische und griechische Kunst miteinander vergleichen. Aber man
wird dabei nicht vergessen — worauf bis auf S. niemand geachtet hat, daß
die repräsentativen Werke der griechischen Kunst einer ganz anderen Zeit
angehören als die repräsentativen Werke Roms, daß Jahrhunderte dazwi-
schen liegen; daß man also Gefahr läuft, Unterschiede, die durch den Ver-
gleich sichtbar gemacht werden, für Unterschiede oder gar Gegensätze des
(nationalen) Wesens griechischer und römischer Kunst, d. h. für stetige zeit-
indifferente Faktoren zu halten, wo es sich in Wahrheit um Zeitstildifferenzen
handelt. Ist einmal die Fehlerquelle erkannt, so ist klar, was zu geschehen
hat: man muß trachten, den Zeitfaktor zu eliminieren. Daher bleibt S. nicht
bei dem fast schon zu oft bemühten Vergleich von Parthenonfries und Ara
pacis stehen, sondern geht dazu über, gleichzeitig entstandene Kunstwerke
gegenüberzustellen und paarweise zu vergleichen 16). Dabei scheut S. nicht
davor zurück, als Repräsentanten griechischer Kunst wenig bekannte Werke,
oft von bescheidenem Rang, heranzuziehen, die nur die eine Bedingung zu
erfüllen haben, mit ihren Vergleichspartnern ungefähr gleichzeitig enstan-
den zu sein. Da es bekanntlich in den Jahrhunderten, in denen die griechische
Kunst ihre Blütezeit erlebte, noch keine römische Kunst gegeben hat —
wenigstens wissen wir nichts mehr von einer solchen, und ob die sonstige
italische Kunst, z. B. die etruskische, einfach an ihre Stelle gesetzt werden
kann, wäre erst noch zu beweisen —, blieb nichts übrig, als zu griechischen,
im griechischen Osten entstandenen Kunstwerken aus der römischen Kaiser-
zeit seine Zuflucht zu nehmen. Ihre oft geringe entwicklungsgeschichtliche
Bedeutung durfte in diesem Fall kein Hindernis bilden.
Bei der Auswahl der Vergleichsobjekte war aber noch einer zweiten Gefahr
zu begegnen; der Gefahr, daß der Blick von den gesuchten Gemeinsamkeiten
und Verschiedenheiten unversehens auf inhaltlich-stoffliche Unterschiede
abgelenkt werde. Denn sonst bestünde keine Gewähr dafür, daß die spezi-
fisch künstlerischen Kriterien bei der Beurteilung den Ausschlag geben.
Man wird also Darstellungen des gleichen Themas, ja womöglich das gleiche
formale Motiv nehmen müssen. Wenn auch der bequemste Weg, die Selb-
15) Über die Gefahren, die bei unkritischer Auswahl der Vergleichsbeispiele
entstehen, siehe auch H. Sedlmayr, a. a. O. p. 23 ff.
16) Ein Versuch, mit dem Vergleich von Parthenonfries und Ara pacis für die
Unterscheidung von Griechischem und Römischem auszukommen, wurde noch in
jüngster Zeit von K. M. Swoboda, Neue Aufgaben der Kunstgeschichte, Brünn
1935, p. 65 ff. gemacht.
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immanenten Kriterien zur Beurteilung der römischen Kunst? Die Wissen-
schaft kennt mehrere Verfahren, die spezifische Eigenart, den besonderen
Charakter eines historischen Phänomens klarzulegen; das in der Regel be-
folgte ist, durch stilistische Vergleiche mit dem nächstverwandten Phänomen
die bezeichnendsten Unterschiede herauszuanalysieren, um dadurch zu einer
scharfen Einstellung auf das in Frage stehende Objekt zu gelangen 15). Man
wird also römische und griechische Kunst miteinander vergleichen. Aber man
wird dabei nicht vergessen — worauf bis auf S. niemand geachtet hat, daß
die repräsentativen Werke der griechischen Kunst einer ganz anderen Zeit
angehören als die repräsentativen Werke Roms, daß Jahrhunderte dazwi-
schen liegen; daß man also Gefahr läuft, Unterschiede, die durch den Ver-
gleich sichtbar gemacht werden, für Unterschiede oder gar Gegensätze des
(nationalen) Wesens griechischer und römischer Kunst, d. h. für stetige zeit-
indifferente Faktoren zu halten, wo es sich in Wahrheit um Zeitstildifferenzen
handelt. Ist einmal die Fehlerquelle erkannt, so ist klar, was zu geschehen
hat: man muß trachten, den Zeitfaktor zu eliminieren. Daher bleibt S. nicht
bei dem fast schon zu oft bemühten Vergleich von Parthenonfries und Ara
pacis stehen, sondern geht dazu über, gleichzeitig entstandene Kunstwerke
gegenüberzustellen und paarweise zu vergleichen 16). Dabei scheut S. nicht
davor zurück, als Repräsentanten griechischer Kunst wenig bekannte Werke,
oft von bescheidenem Rang, heranzuziehen, die nur die eine Bedingung zu
erfüllen haben, mit ihren Vergleichspartnern ungefähr gleichzeitig enstan-
den zu sein. Da es bekanntlich in den Jahrhunderten, in denen die griechische
Kunst ihre Blütezeit erlebte, noch keine römische Kunst gegeben hat —
wenigstens wissen wir nichts mehr von einer solchen, und ob die sonstige
italische Kunst, z. B. die etruskische, einfach an ihre Stelle gesetzt werden
kann, wäre erst noch zu beweisen —, blieb nichts übrig, als zu griechischen,
im griechischen Osten entstandenen Kunstwerken aus der römischen Kaiser-
zeit seine Zuflucht zu nehmen. Ihre oft geringe entwicklungsgeschichtliche
Bedeutung durfte in diesem Fall kein Hindernis bilden.
Bei der Auswahl der Vergleichsobjekte war aber noch einer zweiten Gefahr
zu begegnen; der Gefahr, daß der Blick von den gesuchten Gemeinsamkeiten
und Verschiedenheiten unversehens auf inhaltlich-stoffliche Unterschiede
abgelenkt werde. Denn sonst bestünde keine Gewähr dafür, daß die spezi-
fisch künstlerischen Kriterien bei der Beurteilung den Ausschlag geben.
Man wird also Darstellungen des gleichen Themas, ja womöglich das gleiche
formale Motiv nehmen müssen. Wenn auch der bequemste Weg, die Selb-
15) Über die Gefahren, die bei unkritischer Auswahl der Vergleichsbeispiele
entstehen, siehe auch H. Sedlmayr, a. a. O. p. 23 ff.
16) Ein Versuch, mit dem Vergleich von Parthenonfries und Ara pacis für die
Unterscheidung von Griechischem und Römischem auszukommen, wurde noch in
jüngster Zeit von K. M. Swoboda, Neue Aufgaben der Kunstgeschichte, Brünn
1935, p. 65 ff. gemacht.
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