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Kürschner, Joseph [Hrsg.]
China: Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg ; ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik — Leipzig, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.2422#0364
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107 yyyyyvvyyyyoyyyyyvyyyooyyoyo wirren s <100/190,. yyyyyy^yvvyyyyvoyyvyy^ 108

aus Russen, Lnaländern und Ainerikanern und unserer Aom-
pagnie r>. Rnobelsdorff zusammengesetztcs Detachement unter
Lührung cines russischen Gberstcn auf Lort ksiku los und brachte
am nächsten Nachmittagc, nach kurzem, aber beftigem Gefechte
mit rcgulären chinesischen Truppen der Rolonne Seymour den
ersehnten Lntsatz. Die im Biwak als notwendig zurückgelassenen
Truppen besetzten während der Nacht ihre Stellungen und blieben
bis Tagesanbruch mit Gewehr im Arm schußbereit. Lin sel-
tenes Stimmungsbild. Die russischen, deutschen und englischen
Rommandos der vorrückenden Gntsatzkolonne wurden allmählich
immer verschwommener; als einen schwarzen punkt sah man
die Kolonne schließlich im Dunkel der Nacht verschwinden. Rings-
um leuchteten die brennenden Dörfer wie Glutfackcln zum Him-
mel empor, ganz in der Ferne blitzten die Lcheinwerfer der bei
Tongku liegenden Kanonenboote auf, düster und unheimlich
lag das 3 lem entfernte Arsenal da, in welchem nur hin
und wieder einige verdächtige katernen schaukelten, gerade als
ob dieselben mit der chinesischen Fortbesatzung im Norden Zeichen
verabredcten. Zn der Schützenlinie der ganzen Derteidigungslinie
kein kaut; aus den Dorftrümmern hin und wieder das heisere
Bellen eines gesättigten Thinesenköters. Mit welchem Abscheu
sah man sonst diese feigen, verhungerten Tiere in der Dorf-
straße die Abfällc auflesen; ein gewisses Gefühl der Dankbarkeit
regte sich jeht gegen diese Dierfüßlcr, die an den Leichen herum-
schmausten nnd sich mästeten, uns aber hierdurch vielleicht vor
bösen Gpidemien bewahrt haben. Ls wird ein seltener, histo-
rischer, unvergeßlicher 2lugcnblick bleiben, als am Rlorgen des
26. dic Truppen der Rolonne Seymour an den Spalier bilden-
den deutschen und russischen Truppen vorbei unter den Klängen
der russischen Rapelle durch das Südostthor Tientsins einrückten.
Russen, Deutsche, Franzosen, Lngländer, Ztaliener, Gesterreicher,
Amerikaner mit den verschiedensten Uniformen und waffen,
kand- und Rkarinetruppen, mehr oder weniger ermattet, Ncr-
wundete auf Karren, oder sich mühsam schleppend, Bagage-
wagen, Rkarimgewehre u. s. w., so zogen sie an den aufgestellten
Biwaktruppen, die vor den tapferen Kriegern präsentierten,
vorüber. Za, wenn dieses Bild ein Uinematograph festgehalten
hätte; beschreiben läßt sich das nur schwer."

Der Sturm aufs Nordost-Arsenal.

Doch den aufs äußerste erschöpften Truppen konnte
keine Ruhe gegönnt werden. General Stößel kam zu
der Überzeugung, daß er bei der immer noch gefährlichen
Nähe starker Boxerbanden im Westen der Stadt sich vor
allem seine rückwärtige Verbindung nach Tongku absolut
sichern müsse. Diese behinderte immer noch das schon
auf dem Hinmarsche erwähnte, damals liegen gelassene
Nordost-Arsenal mit seiner starken, noch unversehrten
Besatzung. Der russische General beschloß daher, das-
selbe zu nehmen. Nachdem noch am Abend des 27. Juni
und am 28. Juni morgens die 12 em-Geschütze des
englischen Kreuzers „Terrible", welche schon bei der
Verteidigung von Ladysmith in Thätigkeit getreten
waren, und einige russische Geschütze den Sturm vor-
bereitet hatten, wurde der Angriff um 1(po morgens
beschlossen und angesetzt. Vorstehende Skizze (vgl.
S. 105/6) veranschaulicht den Aufmarsch der verbündeten
Truppen, wie er um 10^0 bewerkstelligt worden war.

Um diese Zeit begannen die Teutschen und Russen
ihre Schützenlinien bis auf etwa 500 bis 600 m heran-
zuführen, die anderen Truppen folgten, so daß auf dieser
Entfernung ein konzentrisches Schützenfeuer auf das
Arsenal gerichtet werden konnte. Schon um 12^o mittags

begann das feindliche Feuer erheblich schwächer zu
werden. Als die Verbündeten auf 350 m an die Um-
wallung des Arsenals herangekommen waren und gerade
das letzte Stadium des Angriffs durchschreiten wollten,
bemerkte Hauptmann von Knobelsdorff chinesische
Soldaten, welche im Begriff waren, eine Mine zu ent-
zünden. Gelang dies, so waren schwere Berluste unaus-
bleiblich. Nur dem raschen Handeln des Hauptmanns
von Knobelsdorff und seiner Schützen war es zu ver-
danken, daß dieser Versuch vereitelt wurde. Jnzwischen
gelang es der Artillerie, das Arsenal in Brand zu
schießen und dadurch die Explosion der großen Pulver-
vorräte herbeizuführen. Jnfolgedessen blieb den ver-
bündeten Fußtruppen die letzte Arbeit erspart, denn die
chinesische Besatzung, 1500 Mann, zog es vor, nach allen
Windrichtungen zu entfliehen, und zwar so schnell, daß
die deutschen Matrosenkompagnien ihre Absicht, dem
Feinde den Rückzug abzuschneiden, nicht mehr ausführen
konnten. Das Arsenal blieb von den Russen besetzt. Um
5 Uhr nachmittags traf das Seesoldaten-Halbbataillon
wieder auf seinem Biwakplatze ein.

Nach dem Einrücken des von Usedom'schen Lan-
dungskorps in den deutschen Teil des Fremdenviertels
hat dieser das Kommando über alle deutschen Truppen
übernommen und veranlaßt, daß dieselben gemeinsam
in der geräumigen Universität untergebracht wurden.
Auch die Kompagnien des Majors Christ sollten nun-
mehr unter den Befehl des Kapitäns vonUsedom treten
und demnach den mit den Russen gemeinsamen Biwak-
platz verlassen.

l<Lin Gffizier vom III. Seebataillon über öen Abschied
von den rnssischen Kameraden.j „Unsere russischen Rame-
raden sahen uns mit großem Bedauern scheiden. General Stößel
stellte uns zum Linmarsch in die Stadt sofort die Regiments-
musik zur vcrfügung. Zm parademarsch defilierten die Rom-
pagnien an dem russischen Befekilshaber vorbei, schwenktsn zur
Linis ein, worauf derselbe in kurzer Rede ausfübrte, daß er
uns sehr missen würde und sich wünsche, stets mit so ausgezeich»
neten Truppen kämxfen zu können. Lr boffe, daß auch die Zu-
kunft die deutschen und russischen Rämpfer Schulter an Schulter
zusammenführen möge. Nach begeisterten ksurrarufen auf unseren
Raiser, einer Gegenrede von Rlajor Thrist und lang anhaltenden
lsurras auf den russischen Zaren marschierten unsere Rom-
pagnien im strammen Tritt von dem Biwakxlatze zur Stadt ab;
an der Spitze die russische Rapelle und an beiden cheiten russische
Truppen, die uns mit jubelnden kjurras empfingen; die russi-
schen Gffiziere, der General an der Spitze, ließen es sich nicht
nehmen, uns noch zu umarmen und zu küssen. cho eng hatten
uns die wenigen aber ernsten Tage auf dem Schlachtfelde zu-
sammengeführt."

Am nächsten Tage telegraphierte General Stößel
an den russischen Kriegsminister:

sGeneral Stötzel an ben rnssischen Rriegsminister.j Taku,
30. Zuni 1900. „Während des gestrigen Ramxfes trat deut-
sches Landungskorps, Gffiziere und Rlannschaften, unter unsern
Befehl; ihr verhalten war über alles kob erhaben; sie haben
hervorragende Tapferkeit, gründliche Ausbildung, Rmsicht und
Rlanneszucht gezeigt. Das Landungskorxs hat große verluste
erlitten."

Ein schöneres Lob aus fremdem Munde konnte den
braven deutschen Soldaten nicht zu teil werden.
 
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