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Kürschner, Joseph [Hrsg.]
China: Schilderungen aus Leben und Geschichte, Krieg und Sieg ; ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik — Leipzig, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.2422#0003
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Lhina, Land und Leute. 4

Nachbarn aufzwingend, breiteten sie das hier ent-
standene Reich so lange die Küste entlang nach Nord
und Süd und landeinwärts nach Westen aus, bis
sie an Staatengebilde stießen, die ihnen an innerem
Halt überlegen waren und eine weitere Ausdehnung un-
möglich machten. Solche Staatengebilde waren im
Norden und Osten das russische und im Süden das indo-
britische Reich. Diese Reiche haben sich von einem
westlichen (Rußland), bezw. südlichen (Jndien) Centrum
aus geradeso nach Osten, bezw. Norden über den eurasi-
schen Kontinent ausgebreitet, wie China von Südosten
aus nach Westen. Naturgemäß üben die Bodenver-
hältnisse einen großen Einsluß auf die Raschheit der
Staatenausbreitung aus. Auf flachem Lande, wo sich
keine natürlichen Hindernisse derselben entgegenstellen,
geht sie viel schneller vor sich, als dort, wo unwegsame
Gebirgsmassen aufragen: sie erfolgt mehr oder weniger
sprungweise von Schranke zu Schranke, und ist eine
solche Schranke besonders schwer zu übersteigen, so wird
dort die Staatenvergrößerung auf lange Zeit, ja viel-
leicht für immer zum Stillstand kommen. Der gewaltige
Gebirgszug des Himalaya im Norden Vorderindiens
und die dichtgedrängten, meridional verlaufenden Ge-
birgszüge Hinterindiens hemmten die Ausbreitung so-
wohl des chinesischen Reiches nach Süden, wie des indo-
britischen Reiches nach Norden und Osten. Über diese
Gebirge ist bis heute keines dauernd hinausgekommen
und sie bilden jetzt die Südwestgrenze des chinesischen
Reiches.

Die beiden genannten Reiche haben nicht alle älte-
ren Staatenbildungen jener Gegend absorbiert: an den
Grenzen sind noch vier solche übrig geblieben, im Westen
Afghanistan, im Himalaya Nepal und Bhutan, in Hin-
terindien Siam. Neuerlich hat Frankreich den südlichsten
Teil Chinas, Anam (Tonkin), an sich gerissen. Gegen-
wärtig grenzt China im Süden an Tonkin, Britisch-
Jndien, Bhutan und Nepal.

Jn ähnlicher Weise wie der Himalaya und die
hinterindischen Gebirge die Ausbreitung Chinas nach
Süden aufhielten, hemmten die centralasiatischen Ketten
die Ausbreitung nach Osten. Jene schiefe Kolonne von
Bergketten, die Gebirge der Pamir, das Westende des
Tienschan, der Tarbagatai, Altai, Tannu-Ola und Sa-
jan, welche Centralasien von Südwesten nach Nordosten
durchzieht, hat früher die Ausdehnung Chinas nach
Westen aufgehalten und hält gegeuwärtig die Ausdeh-
nung des russischen Reiches nach Osten auf: über diese
Gebirge zieht die Grenze zwischen den beiden Reichen
hin. Jm Norden gab es keine so schwer übersteiglichen
Gebirgsketten, hier war es hauptsächlich die Rauheit des
Klimas — in der Gegend liegt, unter 68 o nördlicher
Breite Jana, soweit bekannt, der Ort mit der nieder-
sten mittleren Jahrestemperatur auf der ganzen Erde —,
welche die Ausbreitung des chinesischen Reiches hemmte.
Rußland, welches sich durch die Unwirtlichkeit jener
Gegend nicht davon abhalten ließ, dieselbe sich anzueignen,
hat sich von hier aus — auf Kosten Chinas — nach

Süden ausgebreitet und ist gegenwärtig bis zum Amur-
flusse gekommeu. Jm Westen grenzt China auf eine
kurze Strecke an Afghanistan, im Nordwesten und Nor-
den durchaus ans russische Reich.

Die Chinesen sind keine Seefahrer, weshalb das
Meer ihrer Ausbreitung nach Osten über die Jnseln
der großen Guirlande, welche den Oststrand des eurasi-
schen Kontinents verschleiert, eine schwer übersteigliche
Schranke bot. Es gelangten zwar die nächstliegenden
kleinen und auch einige von den entfernteren, größeren
Jnseln in ihren Besitz, sie verloren die letzteren, auf
denen sie nie recht festen Fuß hatten fassen können, aber
wieder, und selbst die Halbinsel Korea konnten sie nicht
dauernd behaupten. Zudem sind ihnen in der aller-
neuesten Zeit von den europäischen Mächten kleine Teile
ihres östlichen Grenzgebietes (Hongkong, Port Arthur,
Kiautschou) entrissen worden.

Gegenwärtig — Frühling 1901, bald wird es viel-
leicht schon anders sein! — erstreckt sich das chinesi-
sche Reich von 18°9" bis 52° nördlicher Breite und
von 74° bis 135° östlicher Länge und nimmt (ein-
schließlich Kiautschou rc.) einen Flächenraum von
11,115,650 csllm, mehr als ein Viertel von ganz Asien
ein: China ist größer als ganz Europa.

Jm ganzen hat China die Form eines annähernd
gleichseitigeu — natürlich sphärischen — Dreiecks. Die
Ecken desselben sind die Südspitze der schmalen, nach
Süden vorspringenden Halbinsel Leitschou bei der
Küstenstadt Haionso in der Hainan-Straße, 20° 15'N,
110° 20' 0 im Südosten; der Bergkamm, welcher den
großen Karakul-See im Süden einfaßt, 38° 40'

74° 0, im Westen; und Chabarowsk an der Einmün-
dungsstelle des Ussuri in den Amur, 48° 24' U, 135° 0,
im Nordosten. Die Seiten des Dreiecks bilden die Süd-
west-, die Nordwest- und die Südostgrenze.

Das östliche Endstück der Südwestgrenze ist die
Küstenstrecke Haionso-Moncay, welche den Golf von
Tonkin im Norden einfaßt. Derselben ist die gebirgige
Jnsel Hainan vorgelagert. Von Moncay bis zur Mün-
dung des Namlöi in den Mekong grenzt China an das
(französische) Tonkin. Die Grenze verläuft hier von
Ost nach West, quer über die hinterindischen Bergketten.
Von der Namlöi-Mündung zieht die Grenze, erst dem
Mekongflusse folgend, dann wieder quer über Berg und
Thal und eiuem Bergkamm entlang nach Norden bis
zum Francis Garnier-Pcak bei Bonga. Weiter im
Westen bildet die Grenze einen nach Süd vorspringen-
den Bogen, der sich bis Gangotri am Bhagirathiflusse
erstreckt. Eine Einbuchtung dieser Grenzstrecke wird von
Bhutan eingenommen. Ostlich und westlich von Bhutan
grenzt China an Jndien, weiterhin an Nepal, dann
wieder an Jndien. Diese Grenzstrecke folgt dem Hima-
layagebirge. Jm Osten haben die Chinesen das ganze
Gebirge erobert. Nach Westen hin weicht die Grenze
immer mehr zurück, und immer kleiner wird die
Strecke, die die Chinesen in das Gebirge eingedrungen
sind. Von Gangotri zieht die Grenze quer durch
 
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