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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 49.1898-1899

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Hagen, L.: Von der Berliner Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7000#0323
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Ton der Berliner Kunstausstellung.

gewicht ihrer künstlerischen Gewissenhaftigkeit fällt.
Es ist nirgends etwas Gezwungenes, Akrobatisches
in der Ausführung, wie es in geschäftsmäßigem Be-
trieb erzeugt wird. Nicht die geschickte Technik an
sich soll Eindruck machen, sondern die Art, wie sie
nutzbar gemacht ist, um Gedanken auszudrücken uitd
Stimmungen zu erzeugen. Wenn man das will,
darf freilich die Technik auch niemals nachlässig be-
handelt sein, sie muß vielmehr bis ins Aleinste ge-
wissenhaft ausgeführt werden. In der Behandlung
ihrer Motive bringt Frl. Rommel zunächst die strengste
Anpassung an den Richtungsgedanken zur Geltung.
Die geistreich gezeichnete Linie um ihrer selbst willen
genügt ihr nicht; der Begriff des Stehens, Liegens,
Hängens u. f. w. muß vor Allem klar zur Geltung
kommen. Die Zeichnung ist immer unmittelbar aus
der Naturform erobert; dem Geiste der Moderne
entsprungen, ist sie doch weit mehr als bloße An
pastung an die kunstgewerbliche Augenblicksmode.
Die aufrichtige Liebe zur Naturform überwiegt das
Streben nach Ursprünglichkeit, und doch ist die still
sirte Form hier ursprünglich, weil sie als Ergebniß
eines geistigen Abklärungsvorganges auftritt — als
ein Stück Natur durch ein Temperament gesehen.
Die Farbenstellung ist immer rein dekorativ gehalten,
ohne willkürliche Veränderung der Naturfarbe, aber
auch unter Verzicht auf malerische oder plastische
Wirkung. Das hindert natürlich nicht, daß z. B.
die einzelnen Blätter der Lilien des Stuhles (Abb.^Sst)
in verschiedenen Tönen von Weiß gehalten sind.
Die Schattirung tritt hier aber, wie sie es in der
Stickerei immer thun soll, lediglich als Modulation
der Zeichnung auf. Sie bewirkt, daß sich die Form
vortrefflich von dein stumpfblauen Grunde abhebt,
hierdurch wird überdies jenes Ausklingen der Flächen-
verzierung nach oben hin erreicht, das für die Stuhl-
lehne im Sinne der Zweckeinheitlichkeit unentbehrlich
ist. Eine Reihe stilisirter mattziegelrothcr Tulpen
über dunkelgrünen Graszacken gibt der Lehne nach
unten hin die erforderliche, breite, ruhige Linie. Ein
viel verschlungenes Band, vorderseitig weißlich, rück-
seitig tief karmoisinroth, bildet das mittlere Bindeglied
und gibt ein Relief für die schlanken Lilienstengel.
Die Inschrist des Spruchbandes: Schauet an die
Lilien auf dem Felde u. s. w. ist auf dem Sitz des
Stuhles fortgesetzt; hier ist der Grund ein ruhiges
Olivegrün; mattblaue Blüthensterne, flach von oben
gesehen, sind zwischen die Verschlingungen des Bandes
eingestreut. Das Ganze ist in Applikationstechnik
aus Wollstoff gefertigt; eine Umrandung von feiner
Lederschnur erweckt festes Zutrauen zur großen Halt-
barkeit der Arbeit. Die Inschrift tritt als dekoratives
Beiwerk völlig in den Hintergrund, ohne doch

440 — 442. Aisten von Gertrud Rommel, Berlin.
(‘/8 der wirkl. Größe.)

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