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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 55.1904-1905

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Roessler, Arthur: Moderne Münchener Exlibris-Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.7198#0055
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Moderne Münchener Exlibris-Zeichner.

feit hat mit der Eigentümlichkeit der Gotik, die
inan als die Kunst der mit krankhaften Träumen

56. Willi Geiger.

Lehrerstelle entschließen, sondern wurde, nach einer
Studienreise durch Italien, Schüler Stucks. Vor
zwei Jahren erzwang sich Geiger mit seinem in
Mappenform herausgegebenen Werk „Seele", Licht
druckreproduktionen einer Reihe von 30 Tuschzeich-
nungen, respektvolle Beachtung bei den einen, Be-
wunderung seines Könnens und Vertrauen aus eine
glänzende Zukunft bei den anderen. Willi Geiger
ist einer jener Künstler, die Gurlitt willkommen
heißt, „weil sie der Nerv Ungesehenes sichtbar,
Unsichtbares sehbar machen lehrt". Geiger ist
so sehr Künstler, Stilist, daß sich ihm selbst das
Unsinnliche zum Bilde verdichtet. Er hat viel
feines Gefühl für formen, für die zarten Be-
ziehungen zwischen Form und Seele. Alles Sichtbare
gilt ihm als Symbol und alles Unsichtbare fymboli-
siert er in Formen. Ob er den menschliche» Leib
liebt? Ich glaube, er liebt die Maske, die Form
als Symbol. Beim Betrachten einiger Geigerschen
Blätter war es mir, als verriete das Leben den
Künstler an seine Imagination. Geiger verliert sich
an seine Träume jedenfalls mit einer schier fieberi-
schen Leidenschaft, und es ist ein Verlangen in ihm
zur heißen Sehnsucht entzündet, die seine verborgen-
sten Geheimnisse aus der dunklen Tiefe der däm-
mernden Träume seiner Seele an die Oberfläche des
Lebens als Kunstwerk heben möchte. Die einzelnen
Blätter weisen nritunter die Male des Kampfes, in
dem Geiger die Gestalten heraufriß und dann nieder
zwang, in die Form künstlerischer Zeichnung; es
biegen sich alle Linien elastisch unter einem unsicht-
baren Druck; die Figuren sind gleichsam hingewühlt.

Und etwas voin Geiste der Gotik ist in Geigers
Blättern. Die meisten muten an wie Arbeiten, die
vom Künstler in jenen schlaflosen Nächten geschaffen
werden, „gegen deren Schrecken uns der Tod be-
gehrenswert erscheint; Nächten, die unser fjirn mit
Phantomen erfüllen, die schrecklicher sind als die
Wirklichkeit, die uns aber eine neue groteske Lebens-
idee einfloßen; Nächten, deren Zustand viel Ähnlich-

Belasteten bezeichnen könnte". Zn solchen Nächten,
oder doch in den Stimmungen, die solchen Nächten
zu eigen sind, mochte der junge Künstler ge-
arbeitet haben; in Stunden, in denen die Angst
der lebenden Kreatur aufquillt, in denen man
die abertausend Tode abertausender Kreaturen
fühlt; in Nächten, in denen man den wunder-
liche Zug der Menschheit Hintreiben sieht durch
den unendlichen Raum wie eine Milchstraße aus
bleichen Gestalten; einen Zug von Leben und
Sterben, Genuß und Leid, Zungen und Alten,
Kranken und Gesunden, hoffenden und Verzweifelten,
Bösen und Guten — mit dem bleichen, beinernen
Tod inmitten.

Diesen bleichen, beinernen Tod sah Geiger, und
er wird darum das Bewußtsein des Todes nicht
mehr los und ledig. Und als der Gotiker, der
Geiger ist, ist er auch Süuder und Satanist. Dies
bricht zuweilen sogar in seinen Exlibris durch. Er
erfüllte einzelne mit schrecklichen Gestalten, gezeichne-
ten Sünden und Lastern, Leidenschaften und Dualen.
Die Bucheignerzeicheu bloß dekorativ zu halten, ge-
nügte seiner flammenden Phantasie nicht, er mußte in
ihnen etwas zum Ausdruck bringen. 5o zeigt das
hier Seite \2 reproduzierte Exlibris Erich Paar-
manns, eines Geologen, einen auf einem aufgeschlage-
nen Buche liegenden Kristall, der die Schätze der
Erde versinnbildlicht. Um ihn reißt sich die ganze
Menschheit: Könige, Narren, Arbeiter, Dirnen usw.
Das Exlibris Alfred Lickteigs, eines Schriftstellers,

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