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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 57.1906-1907

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Schmidkunz, Hans: Analytisches im kunstgewerblichen Unterricht, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9336#0136
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Analytisches im kunstgewerblichen Unterricht.

Natürlich hat jede Silhouette einen Kontur. Damit
ist zweierlei gesagt. Erstens besitzt die Fläche, die
sich von einer anderen abhebt, von Natur aus eine
Grenze gegen diese hin; allein diese Grenze ist gar
kein selbständiges Gebilde, sondern nur ein ab-
strakter Bestandteil und charakterisiert sich an: ein-
fachsten dadurch, daß sie nicht als solche weggebracht
werden kann; wir vermögen nur etwa ein Stück der
Fläche wegzuschneiden, und dann ist eine neue Grenze
da, während eine Umrißlinie getilgt werden kann,
mit dem Erfolge, daß nun nichts zurückbleibt.
Zweitens aber hat jede Silhouette einen Kontur
auch noch in dem engeren Sinne, daß bekannte
Kontrastwirkungen, namentlich bei dunkler Fläche
auf hellerem oder gar leuchtendem Hintergründe, die
zunächst abstrakte Grenze in einer Kontrastfarbe oder
einenr Kontrastlichte hervortreten lassen, also daß der
Rand intensiver wird als die übrige Fläche.

Zu diesen zwei Bedeutungen kommt noch der
Umstand hinzu, daß wir psychologisch auf ein stärkeres
Erfassen des Verschiedenen, als des Gleichen, angelegt
sind, woraus ein pervortreten jeglicher Grenze in
unserem Bewußtsein entsteht. Und daraus entsteht
ja auch wieder die unnatürliche Ersetzung natür-
licher Hlächenränder durch Umrißlinien. Vergleichen

wir die Photographie eines Zimmers mit unserem
direkten Anblicke desselben, so fällt uns leicht auf,
daß wir die Kanten der Gegenstände bei der Wirk-
lichkeit schärfer hervortreten sehen, als in der Photo-
graphie.

Dieses mannigfache Pin und per hat nun in
der niodernen Kunst eine immer stärkere Bewegung
zu ungunsten des Linienzeichnens und zu gunsten des
Flächenzeichnens gebracht. Wan will möglichst
direkt auf die Fläche oder Silhouette losgehen und
den Kontur mehr nur nebenbei oder als ein späteres
Produkt des sonstigen Vorgehens behandeln. Damit
befindet man sich nach dem einleitend Gesagten aus
einem analytischen Weg.

Allmählich greift dieses Interesse auch in den
künstlerischen Unterricht hinein. Wan hält es viel-
leicht für verderblich, wenn der Schüler mit einer
solchen, gemäß den vorigen Auseinandersetzungen
sogar unnatürlichen Einzelheit beginnt und erst all-
mählich durch mühsames Zusammenstricheln bei der
Hauptsache, dem Totalbild anlangt. Wan will zu
diesem Zwecke möglichst eben dieses Totalbild voran
stellen und die dann noch nötigen Einzelheiten, ein-
schließlich der unvermeidlichen Umrißstriche, erst
später anfügen. Das ist also ein analytischer Weg,

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