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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 71.1921

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F.: "Kunst und Weltanschauung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8622#0070
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seien dann die tätowierten Scheußlichkeiten am betrachtungen entstanden, die sich in linksradikalen

Körper der Städtebilder des Wilhelminischen Zeit- Blättern mit der Schaffung eines für die Kunst

alters entstanden. Indes: nicht das Rom mit unentbehrlichen Gemeinsamkeitssinnes befassen:

der Freiheit einer republikanischen, konsularischen „Stil kann immer nur aus einer Gemeinschaft

Verfassung war etwa
eine Zeit blühender
Kunst, sondern das kai-
serliche Rom, und die
eigenwilligsten der ober-
italienischen Dynasten
waren merkwürdiger-
weise die stärksten För-
derer der Kunst, gar
nicht von den gewal-
tigen Erfolgen zu reden,
die die Kunst den Päp-
sten, den weltlichen und
geistlichen Würdenträ-
gern verdankt. Damit
will keineswegs gesagt
sein, daß die republi-
kanische Staatsform der
Kunst nicht ebenso
dienlich sein könne, wie
es überhaupt grund-
sätzlich nicht an Äußer-
lichkeiten liegt, sondern
an den bewegenden
Ideen, die der Zeit und
der gesamten Kultur
den Schwung verleihen.
In der Gotik war es
die sehnsüchtige My-
stik, das transzenden-
tale Ideal— im Barock

die knorrige Bejahung eines trutzigen Daseinsbe-
standes. Wer immer den Auftrag zur Kunst er-
teilte, war gleichgültig; denn Auftraggeber und
Auftragnehmer waren vom gleichen Geiste erfüllt
und diesem Geiste gab ein irgendwie geartetes Ideal
den Impuls zum Schaffen.

Insofern haben die linksradikalen Kunstästhetiker
unbedingt damit recht, daß nur der Gemeinsam-
keitssinn kultur-, gesellschafts- und kunstbildende
Kraft besitzt. Und wenn das 19. Jahrhundert
an der Kunst gesündigt hat, so war es in erster
Linie die Zerklüftung des Gemeinsamkeitssinnes.
Daß an dieser Zerklüftung die Sozialdemokratie als
System einer über alle Nationen verbreiteter Ge-
sellschaftsklasse, die den anderen feindlich gegen-
übersteht, eine große objektive Schuld hat, wird
diese selbst nicht bestreiten. Aus diesem Gefühl
heraus sind wohl alle die theoretischen Kunst-

BERNHARD JÄGER, München Kabinettsscheibe

(Aus unserer Halle)

heraus geboren werden.
Wer also eine Erneue-
rung der Kunst will,
der muß auch den So-
zialismus wollen, dessen
Ziel es ist, durch die
Gemeinwirtschaft, den
Kollektivismus, einesol-
che neue Gemeinschaft
zu schaffen. Man muß
das Übel an der Wur-
zel packen. Alle kunst-
erzieherischen Bestre-
bungen, alle Kunst-
pflege stoßen immer
wieder auf den unüber-
windlichen Widerstand
des privaten Kapitals,
dessen oberstes Inter-
esse der Profit und
nicht die Kultur ist, und
sie haben daher immer
nur Inseln des Ge-
schmacks zu schaffen
vermocht, die rings von
Unkultur umflutet sind.
Erst wenn unsere Wirt-
schaft, unser ganzes
Gesellschaftsleben wie-
der ein Organismus wird,
in dem ein Teil dem
anderen dient zum Wohle des Ganzen, wird eine
neue Gemeinschaft entstehen, ein neues Zusam-
mengehörigkeitsgefühl, eine Aufhebung der Klas-
senunterschiede, ein wirkliches Volksbewußtsein,
aus dem dann auch eine organische Kultur,
ein Stil wieder erwachsen wird. Ansätze dazu
sind z. B. im Städtebau überall vorhanden, wo ein
organisatorischer Wille den rücksichtslosen Egois-
mus der Privateigentümer eingedämmt hat. Aber
ein einheitliches künstlerisches Gebilde, ein Ge-
samtkunstwerk mit einem krönenden Mittelpunkt,
nach den Gedanken etwa von Bruno Taut in der
„Stadtkrone" kann eine Stadt erst dann werden,
wenn sie über den gesamten Boden das Verfü-
gungsrecht hat und so von jedem einzelnen die sinn-
volle Einordnung in den Gesamtplan nicht nur
fordern, sondern auch erzwingen kann. Gerade
der Sozialismus wird die Kunst erst wahrhaft

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