Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kuhlmann, Fritz
Bausteine zu neuen Wegen des Zeichenunterrichts (Band 1): Das Pinselzeichnen: eine künstlerische und pädagogische Bedeutung und seine methodische Behandlung in der allgemeinen Schule; mit 14 z. grössten teil farbigen Tafeln von Schülerzeichnungen und griechischen und japanischen Pinselarbeiten — Leipzig, 1903

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.23899#0008
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Unterricht pflege. Man konnte systematische Übungen des Pinselzeiehnens sehen in
meiner Ausstellung Pfingsten 1900 in Berlin finden, als in den preussischen Schulen
die Übungen noch durchaus fremd waren. Ich erwähne dies nur, um damit den Beleg
dafür zu erbringen, dass mein Urteil nicht aus fremder Quelle oder günstigem
Vorurteil, nicht aus kurzen, unzulänglichen Experimenten geschöpft, sondern in lang-
jähriger Bearbeitung dieses Gebietes an einer grossen Schule mit vollen Klassen
gewonnen wurde.

Ich hoffe und glaube, dass die Mitteilung meiner Erfahrungen wohl geeignet
sein dürfte, manches ungünstige Vorurteil über das Pinselzeichnen zu beseitigen,
viele gegen dasselbe angeführten Gründe zu widerlegen und manchen demselben
Abgeneigten zu anderer Ansicht zu bekehren.

Wer in der wirklichen Malerei auch nur etwas praktisch tätig ist, weiss, dass
das rechte Malen eigentlich doch nichts anderes ist, als ein Zeichnen mit dem Pinsel,
dass es beim Malen unbedingtes Bedürfnis ist, den Pinsel nicht nur als farben-
auftragendes Werkzeug zu benutzen, sondern auch als unmittelbar formgebendes
— &lso rein zeichnend — zu beherrschen.

Es wäre wahrlich mehr als Stümperei, wollte oder müsste man jede zu malende
Form vorher mit dem Bleistift vorzeichnen. AVer mit dem Pinsel nicht sicher
zu zeichnen vermag, der ist einfach unfähig, in der rechten Weise zu
malen. Es gibt Formen, welche unbedingt direkt mit dein Pinsel ohne jede Ab-
zeichnung hingesetzt werden müssen und nur so lebensvoll und richtig dargestellt
worden können.

In der AUderei, besonders der Aquarelltechnik, würden z. B. frei in der Luft
schwebende Blumen und Blätter jeder Natürlichkeit, jedes Duftes, jedes Lufttones ent-
behren, wenn sie mit dem Stifte vorgezeichnet würden. Solche Sachen und viele
andere müssen unbedingt mit dem Pinsel direkt und sicher hingesetzt werden.
Ausserdem gibt es aber auch in der Ornamentik zahlreiche Formen, welche mit
dem Pinsel erdacht und durch ihn ursprünglich geformt wurden. Diese können
deshalb in ihrer Eigenart nur dann richtig verstanden und wiedergegeben werden,
wenn man sie unmittelbar mit dem Pinsel zeichnet.

Das Pinselzeichnen ist aber nicht-allein wichtig als A7orübung für das Malen.
AVer sich selbst dem Zeichnen mit dem Pinsel widmet, wird sich davon überzeugen,
dass es das ausgiebigste und reizvollste, freilich auch das empfindlichste Darstellungs-
mittel ist, welches wir besitzen.

Mir will es scheinen, als hätten die, welche gegen das Zeichnen mit dem
Pinsel als Unterrichtsübung auftreten, nicht die rechte oder ausreichende Gelegenheit
gehabt oder genommen, sich mit dem Pinsel, seinen Vorzügen und edlen Eigenschaften
in eigener praktischer Arbeit bekannt zu machen. Allen Gegnern des Pinselzeichnens
möchte ich deshalb raten, selbst fleissig mit dem Pinsel zu zeichnen. Ich bin über-
zeugt, dass sie, sobald sie den Nutzen des Pinselzeichnens an sich erfahren haben,
zu Freunden desselben, auch in der Schule werden.

Es gehört allerdings ein gewisses Etwas dazu, das Wesen des Pinsels und seine
Vorzüge zu erfassen und den Reiz einer Pinselarbeit zu empfinden; denn sie liegen
weit ab vom Pedantischen und bisher als schulgemäss Gewerteten. Wie manch einer
lieber ein unedles Pferd reitet, als ein edles, weil es weniger empfindlich ist gegen-
über falscher, unzarter Behandlung, so ist mancher dem Piasei abgeneigt, weil dieser
dem edlen Pferde durchaus gleicht. Er folgt und reagiert wie dieses auf jeden, selbst
 
Annotationen