III. Das ausgehende Mittelalter (14.—Anfang lö.Jahrh.)
1. Die literarischen Erwähnungen
Auch die Bathsebadarstellungen des späten Mittelalters erscheinen in mehr oder
weniger engem Zusammenhänge mit Texten, in denen die über den einmaligen Fall
hinausweisende Gültigkeit des Gegenstandes ausgesprochen ist. Immer noch wird
die Geschichte von David und Bathseba nicht um ihrer selbst willen, sondern in be-
lehrender Absicht erzählt und dargestellt. Der leitende Gedanke aber ist nicht mehr,
wie im frühen und hohen Mittelalter, ihre heilsgeschichtliche Bedeutsamkeit, son-
dern eine praktische Lebenslehre. Diese wird an den Fall Davids geknüpft, ohne
daß der inneren Umkehr des Königs noch gedacht wird. So kommt es zu einer nega-
tiven Bewertung der Bathsebageschichte, die sich von ihrer Auslegung durch die
Väter der Ostkirche ebenso unterscheidet wie von der Interpretation Augustins
und seiner Nachfolger.
Das Grundmotiv aller Erwähnungen der Bathsebageschichte in der Literatur des
späten Mittelalters ist eine Warnung der Männer vor dem Umgänge mit Frauen. Wir
finden sie auch schon früher ausgesprochen. In dem Florilegium des Johannes von
Damaskus ist diesem Gedanken bereits ein ganzes Kapitel gewidmet, und bei Bern-
hard von Clairvaux finden wir ihn in die Worte zusammengefaßt: „Mit einer Frau
ohne Gefahr zu leben ist schwerer als einen Toten zu erwecken38.“ Aber erst vom
13. Jahrhundert an erscheint auch die Bathsebageschichte unter dieses Motto ge-
stellt, und damit wird der Frau des Urias als der Verführerin Davids eine neue ent-
scheidende Rolle zugewiesen.
In einem Gedichte des Brunetto Latini (1220—1294) weist jeder Vers auf das Schick-
sal eines der berühmten Männer hin, die, obwohl sie stark und weise waren, durch
weibliche Verführungskunst zu Torheit und Verbrechen verleitet worden sind39.
Auch in der Bible Moralisee findet die neue Auffassung von der Bathsebageschichte
Eingang40. In den Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts ist neben dem Bibel-
verse, der von der Verführung des Königs durch die Schönheit der Badenden er-
zählt, die Warnung ausgesprochen, die Augen zu hüten. Diese seien oft das Tor,
durch welches das Böse in die Seele des Menschen gelange. Damit wird ein bereits
bei den Vätern der Ostkirche in demselben Zusammenhänge ausgesprochener Ge-
danke wiederaufgegriffen. Eine mangelnde Wachsamkeit über die Sinne wird je-
doch nicht mehr gerügt, weil sich der Mensch durch sie vor Gott schuldig macht,
sondern lediglich darum, weil sich eine solche Unachtsamkeit im Leben in höchst
unangenehmer Weise zu rächen pflegt. So soll der Ehebruch Davids den Männern
als Warnung dienen, daß, wer sich einmal wie der König auf Unrechte Weise an
eine Frau gebunden habe, nie wieder von ihr loskomme. Der Verlust der Freiheit
und aller späteren Freuden wird als Strafe eines solchen Verbrechens angekündigt.
Durch die neue Interpretation wird so das Geschehen bis zum Ehebrüche inhaltlich
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1. Die literarischen Erwähnungen
Auch die Bathsebadarstellungen des späten Mittelalters erscheinen in mehr oder
weniger engem Zusammenhänge mit Texten, in denen die über den einmaligen Fall
hinausweisende Gültigkeit des Gegenstandes ausgesprochen ist. Immer noch wird
die Geschichte von David und Bathseba nicht um ihrer selbst willen, sondern in be-
lehrender Absicht erzählt und dargestellt. Der leitende Gedanke aber ist nicht mehr,
wie im frühen und hohen Mittelalter, ihre heilsgeschichtliche Bedeutsamkeit, son-
dern eine praktische Lebenslehre. Diese wird an den Fall Davids geknüpft, ohne
daß der inneren Umkehr des Königs noch gedacht wird. So kommt es zu einer nega-
tiven Bewertung der Bathsebageschichte, die sich von ihrer Auslegung durch die
Väter der Ostkirche ebenso unterscheidet wie von der Interpretation Augustins
und seiner Nachfolger.
Das Grundmotiv aller Erwähnungen der Bathsebageschichte in der Literatur des
späten Mittelalters ist eine Warnung der Männer vor dem Umgänge mit Frauen. Wir
finden sie auch schon früher ausgesprochen. In dem Florilegium des Johannes von
Damaskus ist diesem Gedanken bereits ein ganzes Kapitel gewidmet, und bei Bern-
hard von Clairvaux finden wir ihn in die Worte zusammengefaßt: „Mit einer Frau
ohne Gefahr zu leben ist schwerer als einen Toten zu erwecken38.“ Aber erst vom
13. Jahrhundert an erscheint auch die Bathsebageschichte unter dieses Motto ge-
stellt, und damit wird der Frau des Urias als der Verführerin Davids eine neue ent-
scheidende Rolle zugewiesen.
In einem Gedichte des Brunetto Latini (1220—1294) weist jeder Vers auf das Schick-
sal eines der berühmten Männer hin, die, obwohl sie stark und weise waren, durch
weibliche Verführungskunst zu Torheit und Verbrechen verleitet worden sind39.
Auch in der Bible Moralisee findet die neue Auffassung von der Bathsebageschichte
Eingang40. In den Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts ist neben dem Bibel-
verse, der von der Verführung des Königs durch die Schönheit der Badenden er-
zählt, die Warnung ausgesprochen, die Augen zu hüten. Diese seien oft das Tor,
durch welches das Böse in die Seele des Menschen gelange. Damit wird ein bereits
bei den Vätern der Ostkirche in demselben Zusammenhänge ausgesprochener Ge-
danke wiederaufgegriffen. Eine mangelnde Wachsamkeit über die Sinne wird je-
doch nicht mehr gerügt, weil sich der Mensch durch sie vor Gott schuldig macht,
sondern lediglich darum, weil sich eine solche Unachtsamkeit im Leben in höchst
unangenehmer Weise zu rächen pflegt. So soll der Ehebruch Davids den Männern
als Warnung dienen, daß, wer sich einmal wie der König auf Unrechte Weise an
eine Frau gebunden habe, nie wieder von ihr loskomme. Der Verlust der Freiheit
und aller späteren Freuden wird als Strafe eines solchen Verbrechens angekündigt.
Durch die neue Interpretation wird so das Geschehen bis zum Ehebrüche inhaltlich
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