IV. Die Bathsebadarstellungen des 16. Jahrhunderts
1. Eine Erwähnung in der zeitgenössischen Literatur
Als Einleitung zu seinen Epigrammen schildert Clement Marot (1496—1544),
Hofdichter Franz I. von Frankreich, eine Episode aus dem Leben seines Königs79:
Nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft in Madrid (1526), der die Nieder-
lage bei Pavia vorausging, nimmt Franz I. erneut den Kampf um den Besitz Burgunds
auf. Er bezieht dort das Castell Emeraude, das dem Grafen von Orsonvilliers gehört.
Hier wird er sich der Schönheit seines Landes erneut bewußt, der er in der sommer-
lichen Fülle Burgunds zum ersten Male wiederbegegnet. Vollkommener aber als
alles, was ihn umgibt, erscheint ihm die Gestalt seiner Gastgeberin. Der Wunsch,
Burgund wiederzubesitzen, das er in Madrid dem Kaiser verpfändet hatte, und das
Verlangen, das die Reize der Gräfin in ihm wachgerufen, vereinigen sich zu einer
Sehnsucht, die ihn ganz erfüllt.
Als Franz I. eines Tages auf der Veranda mit seinem Gefolge tafelt, gewahrt er an
der Wand ein Bild, auf dem eine nackte, im Freien badende Frau zu sehen ist, auf die
ein König vom Fenster seines Palastes aus niedersieht. Er weiß diese Szene nicht zu
deuten und wendet sich um Aufklärung an seine Tischgenossen. Niemand kann ihm
sagen, was auf dem Bilde dargestellt ist. Der Hausherr erzählt, daß es das Geschenk
eines italienischen Malers sei, der, auf dem Wege nach Paris erkrankt, im Schlosse
Emeraude Aufnahme gefunden habe.
Schließlich fragt der König Marot, der bis dahin geschwiegen hatte, ob denn auch
er das Bild nicht zu deuten wisse, und der Dichter antwortet zunächst ausweichend:
„Es ist nicht gut, wenn Könige alles wissen, was auf Wänden dargestellt ist.“
Franz I. gibt sich mit diesem Bescheid nicht zufrieden, und so erzählt Marot die
Geschichte von David und Bathseba. Dann hören wir weiter: „Der König saß lange
und gedankenverloren da, dann trank er noch einen großen Becher auf das Wohl
des Burgherrn, erhob sich und schritt davon. Am anderen Morgen, in der Frühe,
entbot er den Herrn von Orsonvilliers zu sich und sandte ihn zu einem Erkundi-
gungsritt aus in die Franche-Comte nach Dole, wo deutsche Landsknechte und
spanische Reiter lagen.“
Am nächsten Tage trifft der König die Gräfin am Abend auf dem Altane, wo sie
allein unter dem Bilde steht, und gibt ihr seine Liebe zu erkennen. Da seine heim-
lichen Wünsche wohl auch die ihren sind, fordert sie ihn auf, in der Nacht zu ihr zu
kommen. Eine Dienerin geleitet dann später den König auf geheimen Wegen in
das Zimmer der Gräfin. Dort, so hören wir weiter, „umarmte der König die Dame
von Emeraude. Zuversicht erfüllte seine Seele, er glaubte nun fest, daß er Burgund
nicht verlieren würde. Es kamen Boten, die die Niederlage der italienischen Armee
dem König meldeten. — Franz von Frankreich hörte sie lächelnd an. Es kamen
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1. Eine Erwähnung in der zeitgenössischen Literatur
Als Einleitung zu seinen Epigrammen schildert Clement Marot (1496—1544),
Hofdichter Franz I. von Frankreich, eine Episode aus dem Leben seines Königs79:
Nach seiner Heimkehr aus der Gefangenschaft in Madrid (1526), der die Nieder-
lage bei Pavia vorausging, nimmt Franz I. erneut den Kampf um den Besitz Burgunds
auf. Er bezieht dort das Castell Emeraude, das dem Grafen von Orsonvilliers gehört.
Hier wird er sich der Schönheit seines Landes erneut bewußt, der er in der sommer-
lichen Fülle Burgunds zum ersten Male wiederbegegnet. Vollkommener aber als
alles, was ihn umgibt, erscheint ihm die Gestalt seiner Gastgeberin. Der Wunsch,
Burgund wiederzubesitzen, das er in Madrid dem Kaiser verpfändet hatte, und das
Verlangen, das die Reize der Gräfin in ihm wachgerufen, vereinigen sich zu einer
Sehnsucht, die ihn ganz erfüllt.
Als Franz I. eines Tages auf der Veranda mit seinem Gefolge tafelt, gewahrt er an
der Wand ein Bild, auf dem eine nackte, im Freien badende Frau zu sehen ist, auf die
ein König vom Fenster seines Palastes aus niedersieht. Er weiß diese Szene nicht zu
deuten und wendet sich um Aufklärung an seine Tischgenossen. Niemand kann ihm
sagen, was auf dem Bilde dargestellt ist. Der Hausherr erzählt, daß es das Geschenk
eines italienischen Malers sei, der, auf dem Wege nach Paris erkrankt, im Schlosse
Emeraude Aufnahme gefunden habe.
Schließlich fragt der König Marot, der bis dahin geschwiegen hatte, ob denn auch
er das Bild nicht zu deuten wisse, und der Dichter antwortet zunächst ausweichend:
„Es ist nicht gut, wenn Könige alles wissen, was auf Wänden dargestellt ist.“
Franz I. gibt sich mit diesem Bescheid nicht zufrieden, und so erzählt Marot die
Geschichte von David und Bathseba. Dann hören wir weiter: „Der König saß lange
und gedankenverloren da, dann trank er noch einen großen Becher auf das Wohl
des Burgherrn, erhob sich und schritt davon. Am anderen Morgen, in der Frühe,
entbot er den Herrn von Orsonvilliers zu sich und sandte ihn zu einem Erkundi-
gungsritt aus in die Franche-Comte nach Dole, wo deutsche Landsknechte und
spanische Reiter lagen.“
Am nächsten Tage trifft der König die Gräfin am Abend auf dem Altane, wo sie
allein unter dem Bilde steht, und gibt ihr seine Liebe zu erkennen. Da seine heim-
lichen Wünsche wohl auch die ihren sind, fordert sie ihn auf, in der Nacht zu ihr zu
kommen. Eine Dienerin geleitet dann später den König auf geheimen Wegen in
das Zimmer der Gräfin. Dort, so hören wir weiter, „umarmte der König die Dame
von Emeraude. Zuversicht erfüllte seine Seele, er glaubte nun fest, daß er Burgund
nicht verlieren würde. Es kamen Boten, die die Niederlage der italienischen Armee
dem König meldeten. — Franz von Frankreich hörte sie lächelnd an. Es kamen
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